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Rede der Niedersächsischen Kultusministerin Frauke Heiligenstadt zu TOP 15 a - Dringliche Anfrage der Fraktion der FDP


TOP 15 a

„DITIB, Diyanet und die Entwicklungen in der Türkei“


Es gilt das gesprochene Wort!


Anrede,

ich freue mich, dass mir Ihre Anfrage die Gelegenheit gibt, auch hier im Landtag noch einmal ausdrücklich klarzustellen, dass der so genannte Konsulatsunterricht für Schülerinnen und Schüler mit türkischen Wurzeln in Niedersachsen - anders als in anderen Bundesländern - so gut wie keine Rolle spielt: Aktuell erteilt in Niedersachsen nur eine türkische Konsulatslehrkraft so genannten Konsulatsunterricht. Vielmehr wird in Niedersachsen - schwerpunktmäßig in den Schuljahrgängen 1 bis 4 - herkunftssprachlicher Unterricht in staatlicher Verantwortung erteilt.

Die Botschaft ist klar: Das Land Niedersachsen sorgt selbst für den Türkischunterricht an unsere Schulen!

Der herkunftssprachliche Unterricht und der Konsulatsunterricht sind vollständig voneinander zu unterscheiden.

Anrede,

Mehrsprachigkeit ist eine Chance. Deshalb wollen wir die Eltern türkischer Abstammung dabei unterstützen, ihre Herkunftsssprache an ihre Kinder weiterzugeben. Das geschieht durch herkunftssprachlichen Unterricht „Türkisch in den Grundschulen“, an dem im Schuljahr 2016/2017 rund 4.000 Kinder teilnahmen. Dieser Unterricht wird auf Grundlage des Runderlasses „Förderung von Bildungserfolg und Teilhabe von Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache“ vom 01.07.2014 angeboten. Anders als beim so genannten Konsulatsunterricht handelt es sich bei diesem um staatlichen Unterricht in Verantwortung des Landes Niedersachsen, der von staatlichen Lehrkräften erteilt wird. Grundlage für den Unterricht ist ein landeseigenes Kerncurriculum, das eine Einflussnahme des türkischen Staates auf den Unterricht ausschließt.

Anrede,

Sie sprechen mit Ihrer Anfrage auch die muslimische Gefängnisseelsorge an.

Die Kooperation des Landes Niedersachsen mit den muslimischen Verbänden im Rahmen der Gefängnisseelsorge, wie sie unter der Vorgängerregierung eingeführt wurde, hat sich in den letzten Jahren bewährt. Seit der ersten Berufung von muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern im niedersächsischen Justizvollzug im Jahr 2014 hat es auch keinerlei Hinweise auf eine politische Einflussnahme seitens der bestellten Imame oder Seelsorgehelferinnen beziehungsweise Seelsorgehelfer auf Gefangene gegeben. Auch ein Wechsel bestellter Seelsorger, der in Zusammenhang mit politischen Veränderungen in der Türkei gebracht werden könnte, ist nicht erfolgt. Insgesamt gestaltet sich die bisherige Zusammenarbeit der Justizvollzugseinrichtungen mit den niedersächsischen Landesverbänden von DITIB und Schura im Bereich der Seelsorge im Justizvollzug unproblematisch und konstruktiv.

Um die Professionalisierung der muslimischen Seelsorge im Sinne einer Ausrichtung auf hiesige kulturelle, sprachliche und fachliche Standards noch weiter voranzubringen, werden im niedersächsischen Justizvollzug zurzeit erste Honorarverträge mit Theologinnen und Theologen geschlossen, die ein Studium an einem islamtheologischen Institut deutscher Universitäten absolviert haben und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Dies geschieht im Benehmen mit den beiden muslimischen Landesverbänden. Noch im Laufe dieses Monats wird beispielsweise eine Absolventin des Bachelorlehrgangs für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück auf Honorarbasis eingestellt werden. Zwei weitere Werkverträge sind in Vorbereitung. Um geeignete Seelsorgerinnen und Seelsorger mit inländischer Sozialisation und Qualifikation zu gewinnen, erarbeitet das niedersächsische Justizministerium zurzeit ferner einen Kooperationsvertrag mit dem Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück.

Anrede,

Sie fordern in Ihrer Dringlichen Anfrage von der Landesregierung, sich dazu zu äußern, „welche Schritte [sie] unternimmt, um die von vielen Seiten geforderte Unabhängigkeit muslimischer Verbände vom türkischen Staat in Zukunft besser zu gewährleisten.“

Aufgrund der Vorbemerkung der Anfrage und ihrer Überschrift gehe ich davon aus, dass Sie hier auf DITIB abzielen. Lassen Sie mich der Vollständigkeit halber vorwegschicken, dass es sich dem Einflussbereich der Landesregierung entzieht, die Unabhängigkeit von Verbänden bzw. Vereinen ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger von ihren Herkunftsstaaten „zu gewährleisten“. Dies muss allen an der aktuellen Diskussion beteiligten Akteuren klar sein und gilt wie für alle anderen entsprechenden Verbände bzw. Vereine auch für den DITIB-Landesverband Niedersachsen-Bremen.

Von Bedeutung wird die Frage der Unabhängigkeit eines entsprechenden Verbandes allerdings dann, wenn dieser mit dem Land kooperieren will. Je nach Form der Kooperation ergeben sich dann besondere Anforderungen.

Anrede,

gerade DITIB hat sich in den letzten Jahren in verschiedenen Bereichen als verlässlicher Kooperationspartner des Landes Niedersachsen erwiesen. Hinsichtlich der Gefängnisseelsorge habe ich dies eben bereits ausgeführt. Ein weiteres Beispiel ist die in Niedersachsen praktizierte Übergangsregelung für den Islamischen Religionsunterricht.

Dieser ist nach 10-jähriger Erprobung zum Schuljahr 2013/ 2014 an niedersächsischen Grundschulen eingeführt worden, ein Jahr später auch an Schulen im Sekundarbereich I. Möglich war dies durch das sog. Beirats-Modell, in dem Vertreter der beiden islamischen Landesverbände Schura und DITIB als Vertreter ihrer Moscheegemeinden fungieren und diese als Ansprechpartner für das Land Niedersachsen repräsentieren. Das Fach „Islamische Religion“ hat inzwischen einen festen Platz in den Stundenplänen der Schulen in Niedersachsen. An fast 70 allgemein bildenden Schulen werden etwa 3.100 muslimische Schülerinnen und Schüler von 36 Lehrkräften unterrichtet - und das an nahezu allen Schulformen. Ich denke, hierauf können wir stolz sein.

Im Rahmen der bereits bestehenden Kooperationen ist sichergestellt, dass keine Einflussnahmemöglichkeiten für den türkischen Staat bestehen. Gerade auch im Hinblick auf den Islamischen Religionsunterricht wurde und wird allerdings immer wieder das Gegenteil behauptet. Richtig ist Folgendes: Der Unterricht wird auf der Grundlage staatlicher Lehrpläne von staatlichen Lehrkräften erteilt. Da es sich um konfessionellen Religionsunterricht handelt, ist dieser nach dem Grundgesetz in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft zu erteilen. Der o.g. Beirat kann sich bezüglich der Lehrpläne nur dazu äußern, ob die geplanten Inhalte mit den Grundsätzen der vertretenen Religionsgemeinschaften in Übereinstimmung stehen, nicht aber z.B. Inhalte fordern, die nicht im Einklang mit dem staatlichen Bildungsauftrag und mit unseren Wertegrundlagen stehen.

Anrede,

sowohl Schura, als auch DITIB haben den Wunsch, möglichst zeitnah als direkter Kooperationspartner des Landes für einen konfessionellen Religionsunterricht im Sinne des Art. 7 Abs. 3 GG anerkannt zu werden. Und an dieser Stelle ergeben sich besondere Anforderungen auch im Hinblick auf die Unabhängigkeit von staatlichen Einflüssen. Hier bestehen dann auch entsprechende Reaktionsmöglichkeiten des Landes – ich betone: „Reaktionsmöglichkeiten“, nicht „Gestaltungsmöglichkeiten“. Die Gestaltung des Verhältnisses der Verbände zu ausländischen Staaten ist zunächst eine interne Angelegenheit dieser Verbände. Wählt ein Verband diese Gestaltung dann allerdings so, dass Zweifel an seiner Unabhängigkeit vom Einfluss ausländischer Staaten bestehen, kann eben - bis diese Zweifel ausgeräumt sind - keine Feststellung erfolgen, dass dieser Verband die Voraussetzungen erfüllt, die an eine Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 7 Abs. 3 GG zu stellen sind.

Anrede,

es ist das erklärte Ziel des niedersächsischen DITIB-Landesverbands, sich vom türkischen Staat unabhängig zu machen. Und die Niedersächsische Landesregierung wird den Verband dabei im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen. Das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung bietet hier etwa im Rahmen der Förderrichtlinien zur Migration und Teilhabe auch den muslimischen Verbänden an, z. B. für Projekte zur Förderung der Demokratie und Toleranz sowie für Projekte, die die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in Niedersachsen nachhaltig verbessern und ihre gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe fördern, finanzielle Zuwendungen zu beantragen und entsprechende Projekte durchzuführen.

Ich bin überzeugt davon, dass dies der richtige Weg ist, um die bisherige erfolgreiche Kooperation des Landes mit dem Verband fortführen und zukünftig auch weiter ausbauen zu können.

Dies vorausgeschickt beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:

Zu 1:

Aktuell erteilt in Niedersachsen eine türkische Konsulatslehrkraft so genannten Konsulatsunterricht.

Zu 2:

Die Landesregierung beabsichtigt, die muslimische Gefängnisseelsorge in der oben dargestellten Weise weiterzuführen.

Zu 3:

Das Verhältnis der muslimischen Verbände zum türkischen Staat entzieht sich einer Gestaltung durch die Landesregierung. Ich verweise insoweit auf meine soeben gemachten Ausführungen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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Artikel-Informationen

erstellt am:
06.04.2017

Ansprechpartner/in:
Tanja Meister

Nds. Kultusministerium
Stellvertretende Pressesprecherin
Schiffgraben 12
30159 Hannover
Tel: 0511 120 7145

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