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Landtagsrede der Niedersächsichen Kultusministerin Julia Willie Hamburg vom 08.11.2023 zu Gedenkstätten

„NIE WIEDER IST JETZT! ANGRIFFEN AUF GEDENKSTÄTTEN ENTSCHIEDEN ENTGEGENTRETEN, GEDENKSTÄTTEN ALS ORTE DER DEMOKRATIEBILDUNG UND ERINNERUNG AN FINSTERE ZEITEN STÄRKEN“


Es ist nicht lange her, dass am Sitz der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten in Celle mehrere Fensterscheiben eingeschlagen wurden. Aber das ist leider beileibe kein Einzelfall. Jüngst fanden sich in Ahlem Aufkleber rechtsextremen Inhalts. Unsägliche Parolen, die in der vergangenen Woche in der dortigen Gedenkstätte von Unbekannten angebracht wurden.

Beide Vorfälle haben nicht nur in Niedersachsen, sondern bundesweit und sogar darüber hinaus für Empörung gesorgt. Die betroffenen Einrichtungen haben danach viel Zuspruch und Solidarität erfahren. Mehr als 700 Menschen sind am vergangenen Samstag in Ahlem auf die Straße gegangen und haben ein deutliches Zeichen gegen den Angriff auf die Gedenkstätte gesetzt. Viele der Anwesenden – darunter nicht wenige Schülerinnen und Schüler – zeigten zudem ihre Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Deutschland.

Die Ereignisse in Celle und Ahlem sind Beispiele, die sich in eine lange Reihe vergleichbarer Taten auch an anderen Orten einreihen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Gedenkstätten in Niedersachsen und bundesweit kennen dies schon seit vielen Jahren und erleben dabei einen Trend, der sich in der jüngeren Vergangenheit deutlich verstärkt hat. Angriffe in Form von Aufklebern mit volksverhetzenden Aussagen, Schmierereien und Sachbeschädigungen gehören dort mittlerweile zum traurigen und nicht zu akzeptierenden Alltag. Rechtsextremisten lassen sich in eindeutiger Pose demonstrativ für ein Erinnerungsfoto ablichten. Und immer wieder provozieren Besuchende ganz offen mit Fragen oder Aussagen, mit denen sie etwa den Holocaust relativieren oder gar ganz infrage stellen.

Auch an anderen Orten erleben wir, wie die Ereignisse im Nahen Osten genutzt werden, um antisemitische Haltungen zu forcieren.

Es ist offensichtlich, warum gerade die Gedenkstätten von diesen unsäglichen Aktionen betroffen sind. Gedenkstätten sind besondere Orte, die Geschichte erfahrbar und erlebbar machen, die Vergangenheit aufbereiten und sichtbar machen. Die für Haltung und Werte stehen. Und genau diese werden aktuell nicht nur in Frage gestellt, sondern offensiv attackiert. Es geht den Täterinnen und Tätern um den Tabubruch, die größtmögliche Provokation und die entsprechende mediale Aufmerksamkeit.

Begleitet wird dies durch seit Jahren zu beobachtende Vorstöße etwa in kommunalen Parlamenten und Landtagen, in denen die Ablehnung zusätzlicher Mittel für die Gedenkstätten gefordert wird oder gleich die Streichung der Zuschüsse. Zusätzlich wird die Arbeit der Gedenkstätten offensiv hinterfragt und teils auch ihr Personal diskreditiert. Auch dies ist Ausdruck des „erinnerungspolitischen Klimawandels“, den Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, treffend beschrieben hat.

Auch hier stellt sich die Frage nach dem Kalkül derer, die diese Forderungen und Aussagen tätigen.

Die Antwort hierauf liegt in der hervorragenden Arbeit der Gedenkstätten begründet. Zwar sind sie – wie auch Frau Dr. Gryglewski zurecht betont – keine „Besserungsanstalten“, deren Besuch Menschen mit antidemokratischen Einstellungen oder gefestigtem antisemitischen Weltbild grundsätzlich beeinflussen könnte. Aber sie tragen mit ihrer Arbeit im Sinne eines „reflexiven Geschichtsbewusstseins“ (J.-C. Wagner) ganz wesentlich dazu bei, nicht nur das Leid der Opfer der Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft angemessen zu würdigen und deren Andenken zu wahren, sondern sie sind wichtige Akteurinnen in der politischen Bildung, in denen Menschen jeden Alters Demokratiekompetenzen erwerben können. Soziales Handeln, Empathie, analytische und kritische Denkweisen werden hier vermittelt. Und die Gedenkstätten sind wichtige Impulsgeberinnen, wenn es etwa um die Frage nach dem Zusammenleben in einer liberalen, demokratischen und vielfältigen Gesellschaft geht. All das empfinden rechtsextreme und antisemitische Kräfte offensichtlich als Kampfansage.

Die Gedenkstätten sind somit in vielfacher Hinsicht gesellschaftlich wertvoll. Sie werden daher weiterhin unsere volle Solidarität und Unterstützung erfahren. Vor allem aber ist es der Niedersächsischen Landesregierung ein wichtiges Anliegen, ihnen die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu geben. Die Gedenkstätten – hier gerade auch die kleineren, regionalen Einrichtungen – müssen daher in Zukunft finanziell weiter gestärkt werden, um ihre wichtige Arbeit nicht nur fortsetzen, sondern intensivieren zu können. Dies ist in Zeiten des erstarkenden Rechtsextremismus sowie Antisemitismus wichtiger denn je.

Ein deutliches „Nie Wieder“ war über Jahrzehnte ein gemeinsamer gesellschaftlicher und demokratischer Konsens. Es ist offensichtlich an der Zeit, diesen zu erneuern und mit neuem Leben zu füllen. Dazu leisten Gedenkstätten einen besonders wichtigen Beitrag. Aber wir alle sind gefordert, sie dabei nicht allein zu lassen:

Der Kampf gegen Antisemitismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dieser müssen sich alle demokratischen Kräfte stellen.

Wand der Namen der Opfer in Bergen-Belsen mit daran angelehnten Kränzen   Bildrechte: dpa picture alliance, Holger Hollemann
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