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Rede des Niedersächsischen Kultusministers Grant Hendrik Tonne zu TOP 35 der Landtagssitzung am 20.06.2019 zum Thema: „Stand und Weiterentwicklung der Inklusion in den niedersächsischen Schulen“

Große Anfrage der Fraktion B´90/Die Grünen, Drs. 18/1502





Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

in Beantwortung der Großen Anfrage zum „Stand und zur Weiterentwicklung der Inklusion in den niedersächsischen Schulen“ der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist eine Bündelung einer Vielzahl von Daten und Fakten über die inklusive Schule in Niedersachsen entstanden.


Ich möchte mich bei all jenen bedanken, die an der Beantwortung dieser umfangreichen Großen Anfrage mitgewirkt haben. Das war ein erheblicher Arbeitsaufwand.

Die Daten belegen unsere solide und belastbare Grundlage für die weitere Arbeit an der Umsetzung der schulischen Inklusion. Denn dass wir hier weiterarbeiten wollen und müssen, ist unbestritten:

Zehn Jahre nach dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention und sieben Jahre nach der Einführung der inklusiven Schule in Niedersachsen ist die Inklusion aus unseren Schulen nicht mehr wegzudenken – und das ist gut so!

Anrede,

wir haben uns seinerzeit in Niedersachsen über die Fraktionen hinweg mit großer Mehrheit dafür entschieden, im Niedersächsischen Schulgesetz zu verankern, dass jede Schule eine inklusive Schule ist. Diese zukunftsweisende Entscheidung wird nicht revidiert oder relativiert. Sie steht nicht zur Debatte.

Die Inklusion ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess. Wir benötigen Akzeptanz sowie finanzielle und personelle Ressourcen, daneben auch Zeit, Phantasie und Pragmatismus.

Ich hatte bereits anlässlich einer der zahlreichen Debatten, die wir hier gemeinsam zu diesem Thema geführt haben, betont, dass die Umsetzung der Inklusion in den Schulen ein Großprojekt ist - politisch ebenso wie organisatorisch und pädagogisch.

Die Einführung der inklusiven Schule hat erhebliche Auswirkungen auf die Arbeit in den Schulen, die Arbeit der Lehrkräfte und weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und nicht zuletzt auch auf die Einstellungen und den Selbstwert von Schülerinnen und Schülern. Immer mehr von ihnen erleben und begreifen es als Normalität, dass sich eine vielfältige Welt in den Klassenzimmern abbildet und dass der Umgang damit genauso selbstverständlich wie wertvoll ist.

Anrede,

wir haben schon Vieles erreicht. Gleichzeitig stellen wir fest, dass die Umsetzung der schulischen Inklusion in der Vergangenheit nicht ohne Widersprüche und Probleme verlaufen ist. Zum einen sehen wir Schulen und Regionen, die erfolgreich ihre inklusive Praxis leben. Zum anderen müssen wir auf berechtigte Hinweise aus der Praxis reagieren, wo es noch Hürden zu überwinden gilt, und dies in unsere Konzepte einfließen lassen.

Wir sind daher in meinem Haus fortwährend dabei, die Rahmenbedingungen für den Inklusionsprozess weiterzuentwickeln: Wir finden Lösungen, die dazu beitragen, dass die Arbeit in den Schulen besser gelingen kann, und wir stellen die Mittel hierfür bereit:

Im Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung 2018-2022 werden insgesamt rund 1,9 Mrd. Euro für die Inklusion zur Verfügung stehen. Die Landesregierung steht also mit ihrem umfassenden finanziellen Engagement für das Gelingen der Inklusion ein. Die Landesregierung hat auch auf das jahrgangsweise Aufsteigen der Inklusion und den damit verbundenen ansteigenden


Zusatzbedarf reagiert: Das Aufwachsen der inklusiven Beschulung geht einher mit dem Aufwachsen des Stundenvolumens für die sonderpädagogische Grundversorgung und die sonderpädagogischen Zusatzbedarfe. Die Darstellung der Lehrkräftestunden in den umfangreichen Tabellen spricht für sich.

Doch damit nicht genug.

Anrede,

bereits 2016 hat die Landesregierung das Rahmenkonzept Inklusive Schule entwickelt. In verschiedenen Handlungsfeldern wurden die notwendigen Bausteine für die Weiterentwicklung der inklusiven Schule abgebildet und kontinuierlich fortgeschrieben. Bis heute wurden zu allen Handlungsfeldern wichtige Maßnahmen umgesetzt und zahlreiche weitere Schritte eingeleitet.

Doch natürlich gibt es auch noch Baustellen. Und diese werden Schritt für Schritt bearbeitet und gelöst.

So haben wir begonnen, uns intensiv mit der wichtigen Frage nach der Weiterentwicklung der bedarfsgerechten Ressourcenzuweisung zu befassen. Diese steht im Kontext mit einer Neukonzeptionierung der Lehrerstundenzuweisung nach Klassenbildungserlass. Eine abteilungsübergreifende Arbeitsgruppe in meinem Haus wird hierzu ein Modell erarbeiten.

Eine wichtige Grundlage für das Gelingen der Inklusion sind die multiprofessionellen Teams. Wir fördern die Arbeit von multiprofessionellen Teams in den Schulen auf verschiedene Weise.

Im Jahr 2018 haben wir beispielsweise Stellen für Pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bislang befristet waren, entfristet und somit zusätzliche Stellen geschaffen.

In 2019 werden wir weiter zusätzliches Personal einstellen und den pädagogischen Fachkräften, die bislang maximal 80-Prozent-Verträge abschließen konnten, eine Aufstockung auf 100-Prozent-Verträge anbieten können.

Ebenso gehört dazu, dass Förderschullehrkräfte ab dem kommenden Schuljahr an allgemeinen Schulen eingestellt bzw. dorthin versetzt werden können. Bereits rund 400 Förderschullehrkräfte haben einen Versetzungsantrag an eine allgemeine Schule gestellt. Dies zeigt, dass viele Lehrkräfte in der inklusiven Schule arbeiten wollen und dazu bereit sind, neue Wege zu beschreiten. Diese Maßnahme wird sich positiv auf die Arbeitszufriedenheit der Förderschullehrkräfte und auf die Arbeitsorganisation der inklusiven Schulen auswirken. Wir erreichen damit eine deutliche Verbesserung der Kommunikation und der Kooperation an den inklusiven Schulen zum Wohle der Schülerinnen und Schüler.

Zu den verbesserten Rahmenbedingungen gehört weiter, dass wir die sonderpädagogische Expertise an den Schulen besser verfügbar gemacht haben. Mit einem neuen Erlass haben wir geklärt, dass alle beteiligten Lehrkräfte sonderpädagogische Beratung erhalten können.

Anrede,

die Regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren Inklusive Schule, kurz „RZI“, von denen bereits 35 eingerichtet sind – ein weiteres RZI startet am 01.08.2019 (Landkreis Harburg) – dienen als zentrale Anlaufstelle für alle Fragen der sonderpädagogischen Beratung und Unterstützung der inklusiven Schule in einem Landkreis bzw. einer kreisfreien Stadt. Sie werden mit ihrer Beratungskompetenz und der Organisation des sonderpädagogischen Personals ihren wichtigen Beitrag zum Aufbau inklusiver Strukturen in den Schulen leisten.

Nicht zuletzt arbeiten wir daran, dass die Schulen noch besser von den Mobilen Diensten profitieren können. Die Auswertung von statistisch ermittelten Zahlen zu Mobilen Diensten ist eine Sache. Was sich anhand der aufgeführten Zahlen aber nicht ablesen lässt, ist die Tatsache, dass viele Mobile Dienste eng mit den Schulträgern zusammenarbeiten und Netzwerke geknüpft haben, die Schülerinnen und Schüler in ihrer Entwicklung unterstützen und stärken können.

Der regionale Blick auf die jeweilige Situation vor Ort ist uns sehr wichtig, zumal wir feststellen, dass der Umsetzungsstand der inklusiven Schule in den einzelnen Regionen durchaus unterschiedlich ist. Unser Ziel ist es, dass es ein landesweit vergleichbares Angebot an sonderpädagogischer Unterstützung gibt. Und dahingehend werden wir die Mobilen Dienste weiterentwickeln.

Anrede,

seit der Einführung der Inklusion haben sich die Schulen auf den Weg gemacht und vielerorts positive und für alle Beteiligten gewinnbringende Entwicklungen durchlaufen, die als „best-practice“ Beispiel dienen können.

Es haben sich Lehrerteams gebildet, es fanden und finden tausende gemeinsame Fortbildungen statt. Inklusion ist damit auch ein Motor für Schulentwicklungsprozesse. Ich verstehe es als meinen Auftrag, die Rahmenbedingungen für die Inklusion stetig weiterzuentwickeln und zu verbessern.

Die Inklusionsquote ist in Niedersachsen im Schuljahr 2017/18 auf 64,3 Prozent gestiegen. Dies ist eine Zunahme um rund drei Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr (Schuljahr 2016/17: 61,4 Prozent).

Auch am Aufwachsen des Stundenvolumens für die sonderpädagogische Grundversorgung und die sonderpädagogischen Zusatzbedarfe zeigt sich das Aufwachsen der inklusiven Beschulung.

Und, meine Damen und Herren, ein sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf bildet dabei nur eine Form eines pädagogischen Unterstützungsbedarfs. Der Weiterentwicklung der inklusiven Schule liegt ein erweiterter Inklusionsbegriff zugrunde, bei dem auch die Förderung von Mehrsprachigkeit, besonderer Begabungen oder spezifischer Lernschwächen Berücksichtigung finden.

Wir stärken also in der inklusiven Schule den Blick auf das Kind als Individuum und auf seine individuellen Lernbedingungen. Und damit kommt die inklusive Schule allen Schülerinnen und Schülern zugute.

Dies alles zeigt: Wir befinden uns auf einem richtigen Weg und auf einem guten Weg, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Das Ziel werden wir nur gemeinsam erreichen können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


Kultusminister Grant Hendrik Tonne   Bildrechte: MK

Kultusminister Grant Hendrik Tonne

Artikel-Informationen

erstellt am:
20.06.2019

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