Rede der Niedersächsischen Kultusministerin Julia Willie Hamburg zu TOP 2 b der Landtagssitzung am 13.12.2022
Aktuelle Stunde: Gute Bildung fängt ganz früh an - IQB-Studie legt Defizite bei Lesen, Schreiben, Rechnen offen - jetzt Trendwende einleiten, soziales Lernen und Basiskompetenzen zusammen fördern - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drs. 19/128
Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede,
der IQB-Bildungstrend führt es uns deutlich vor Augen: Immer mehr Grundschulkinder in Deutschland haben Schwierigkeiten beim Lesen, Schreiben und Rechnen. Das gilt bundesweit und Niedersachsen bildet da keine Ausnahme.
Dass zunehmend Kinder die Grundschule ohne ausreichende Kompetenzen im Bereich Lesen, Schreiben und Rechnen verlassen, ist nicht zu akzeptieren. Diese grundlegenden Fähigkeiten bilden die Basis für einen erfolgreichen Bildungsweg und ein gutes, selbstbestimmtes Leben.
Um die Studienergebnisse einsortieren zu können, ist ein Blick auf die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre wichtig. So wird z. B. immer weniger Kindern zu Hause vorgelesen; dafür beobachten wir einen zunehmenden Medienkonsum schon bei Kleinkindern. Die direkte Kommunikation nimmt auch innerhalb der Kernfamilien ab. Immer mehr Kindern fehlen damit gute Sprachvorbilder außerhalb von Kita und Schule. Auch die Vielsprachigkeit an unseren Schulen ist zwar ein Schatz – aber führt trotzdem zu sehr unterschiedlichen Sprachständen und damit Herausforderungen an unseren Kitas und Grundschulen.
Hinzu kommen aktuell die Auswirkungen der Corona-Pandemie, die diejenigen Kinder besonders belasten, die ohnehin unter schwierigeren Bedingungen aufwachsen. Die Pandemie ist hier zu nennen – und trotzdem ist mir wichtig zu betonen, dass man den Trend nicht alleinig der Pandemie zuschreiben kann.
Anrede,
das in der letzten Woche veröffentlichte Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) gibt uns wertvolle und sehr konkrete Hinweise, wie diesen Herausforderungen zielführend und effektiv begegnet werden kann. Diese werten wir derzeit intensiv aus, um daraus Maßnahmen für unsere weitere Arbeit abzuleiten. Denn fest steht: Wir müssen eine Trendwende einläuten.
Wir werden deshalb ein umfangreiches Paket mit verschiedenen Maßnahmen schnüren, um die sogenannten Basiskompetenzen aller Schülerinnen und Schüler zielgerichtet zu fördern und auszubauen. Dabei behalten wir auch die sozial-emotionalen Kompetenzen der Kinder im Blick – denn diese sind zwei Seiten einer Medaille und kein Entweder-Oder.
Besonders interessant finde ich, dass die SWK sehr deutlich gemacht hat, dass wir eigentlich bereits vor der Grundschule beginnen müssen. Wir alle sind uns einig, dass Kindertagesstätten Bildungseinrichtungen sind. Und die Vermittlung von Kernkompetenzen, Sprachstandsfeststellungen sowie Sprachförderung spielen somit bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt eine wichtige Rolle. Es ist deshalb gut und wichtig, dass die KMK gemeinsam mit der JFMK einen intensiven Austausch über die Kindertagesstätten führen möchte. Auch hier in Niedersachsen werden wir mit den Trägern und Expert*innen in einen Austausch über Maßnahmen gehen.
Aber lassen Sie mich beispielhaft auch einige der geplanten Maßnahmen im Grundschulbereich nennen:
- Wir erhöhen die Stundentafel der Grundschule und geben Kindern mehr Zeit zum Lernen. Wir werden mehr Fachunterricht in den Kernfächern Deutsch und Mathematik anbieten.
- Wir unterstützen die Grundschullehrkräfte in ihrer professionellen Weiterentwicklung und weiten die Fortbildungsangebote aus.
- Wir entlasten Lehrkräfte und Schulleitungen durch zusätzliches Personal in den Schulen und bauen die Arbeit in multiprofessionellen Teams aus.
- Wir werden prüfen, inwiefern wir die Kerncurricula in den Fächern Deutsch und Mathematik anpassen müssen.
- Wir stellen den Schulen verbesserte Diagnoseinstrumente zur Verfügung und erleichtern ihnen die regelmäßige Erhebung des Lernstandes. Die SWK macht sehr deutlich, dass Schulentwicklung und Evaluation entscheidend für den Erfolg der Maßnahmen sind. Hier gilt es, zu schauen, welche Angebote an Schulen wie wirksam eingesetzt und implementiert werden können. Die entscheidende Rolle der Schulleitung für diese Prozesse werden wir mit Blick auf das Berufsbild Schulleitung in Niedersachsen weiterentwickeln.
- Wir bauen das landesweite Bildungsmonitoring aus, um gesicherte Daten für die Steuerung und gezielte Entwicklung von Maßnahmen zu erhalten.
Wir müssen darüber hinaus aber auch ganz generell schauen, welches Setting Schülerinnen und Schüler brauchen, um gut lernen zu können. Die SWK betont nicht ohne Grund, dass gutes Lernen der Basiskompetenzen auch einhergeht mit sozialem Lernen. Das ist kein Widerspruch – es bedingt sich. Und wir alle wissen, dass Grundschüler*innen ausgleichende Angebote und verschiedene Anregungen brauchen – sei es Bewegung, Motorik, Haptik. Und auch die Verteilung von Ressourcen auf Grundlage sozialer Indizes wird dringend angeraten.
Wir führen diese Debatte um die Kernkompetenzen und nehmen uns viel vor – wir führen sie aber auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels. Welche Rolle fachfremd oder nicht erteilter Unterricht bei diesen Entwicklungen spielt, gilt es genau zu analysieren. Auch, welche Maßnahmen wir ergreifen, wenn Lehrkräfte für diese zusätzlichen Aufgaben nicht zur Verfügung stehen. Das gilt es mit den Fachverbänden und Praktiker*innen zu erörtern. Auch wir werden diese Fragen sicher noch häufiger intensiv miteinander wägen.
Anrede,
im Februar 2023 wird die SWK sich zu diesem Thema in Hannover auf einem Kongress mit allen Interessierten austauschen. Leider findet die Veranstaltung terminbedingt am Rande unseres Landtagsplenums statt. Im Lichte der Erkenntnisse werden wir im Anschluss die geplanten Maßnahmen noch einmal präzisieren. Gemeinsam mit unseren Schulen wird es uns gelingen, den Erwerb der Basiskompetenzen deutlich zu stärken. Das muss nach dieser Studie unser gemeinsames Ziel sein.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!Julia Willie Hamburg
Artikel-Informationen
erstellt am:
13.12.2022
Ansprechpartner/in:
Sebastian Schumacher