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Heiligenstadt: „Mit dem neuen Schulgesetz wird das Bildungssystem in Niedersachsen gerechter und moderner. Mehr Chancen und Möglichkeiten für alle!“

Rede der Niedersächsischen Kultusministerin Frauke Heiligenstadt zu

TOP 3

a) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Schulgesetzes

Gesetzentwurf der Fraktion der FDP - Drs. 17/1161

b) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Schulgesetzes

Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 17/2882 –

c) Qualität und Vielfalt an Niedersachsens Schulen sichern - rot-grünes Schulgesetz ist ein Chancenvernichtungsgesetz!

Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/2902

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

ich habe heute die große Freude, dem hohen Haus nach Abschluss der Ausschussberatungen den Gesetzentwurf für eine Novellierung des Schulgesetzes in der Fassung der Beschlussempfehlung vorzustellen, und ich werde noch einmal um Ihre Zustimmung zu dieser zukunftsfähigen und nachhaltig wirkenden Novelle werben.

Am heutigen Tage danke ich zunächst allen Seiten für die förderlich kritische und konstruktive Beratung in den Fachausschüssen.

Die Sachlichkeit der Beratungen hebt sich wohltuend ab von der von Ihnen – meine Damen und Herren von der Opposition – zeitgleich in der Öffentlichkeit zum Ausdruck gebrachten rigoros ablehnenden Haltung gegenüber diesem Gesetzeswerk. Ihren permanenten Versuchen der Diskreditierung von angesehenen Schulformen, Ihrer populistischen Abkehr von erst jüngst von Ihnen selbst im Schulgesetz verankerten Förderschulaufhebungen, Ihrem unablässigen Schüren von Ängsten, dass es den Gymnasien und Oberschulen an den Kragen ginge und Ihren angezettelten Scheingefechten zu Unterrichtsversorgung und Lehrerarbeitszeit. Wer die Ausschussberatungen verfolgt hat, kann sich nicht vorstellen, dass hier dieselben Akteure aktiv waren.

Sehr herzlich bedanke ich mich an dieser Stelle bei allen Verbänden und Bildungsakteuren, die sich zum Gesetzentwurf geäußert und damit zum Gelingen der Novelle beigetragen haben.

Die in der sehr sorgfältigen und tiefgehenden Anhörung geäußerten Kritikpunkte und Anregungen zum Gesetzentwurf haben wir sehr intensiv diskutiert und alle Argumente sorgfältig gegeneinander abgewogen.

Auch bei dem Schulgesetzentwurf kam es mir ganz persönlich auf einen möglichst breit angelegten dialogischen Prozess an. Dies war umso wichtiger, weil in den vergangenen Jahren ein derartiger dialogischer Prozess rund um das Schulgesetz nicht stattgefunden hat. Wie Sie wissen, haben allein in der dreitägigen mündlichen Anhörung im Kultusausschuss Vertreterinnen und Vertreter von 38 Gremien, Verbänden und Gewerkschaften zum Gesetzentwurf Stellung genommen. Dazu kamen noch einmal rd. 100 schriftliche Vorlagen.

Bei der Bewertung der vorgetragenen Argumente für sowie gegen Änderungsvorschläge sind wir ergebnisoffen an der einen oder anderen Stelle - wie zum Beispiel der Inklusion oder der Übertragung der Schulträgerschaft - zu einer Neubewertung und inhaltlichen Überarbeitung des Gesetzentwurfs gelangt. Wo die Argumente allerdings nicht überzeugend waren, nur aus überkommenen Bildungsideologien gespeist waren, völlig überspitzt oder sogar - wie teilweise bei der Debatte um die Gesamtschule als ersetzende Schulform - schlicht absurd waren, haben wir an dem Gesetzentwurf aus guten und wohlüberlegten Gründen festgehalten.

Am heutigen Tage kann ich daher sagen:

Für die Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen, ihre Erziehungsberechtigten, die Lehrkräfte, die Schulträger und alle weiteren Bildungsakteure ist heute nicht nur ein guter Tag, sondern ich bin stolz sagen zu dürfen, heute ist sogar ein richtig guter Tag.

Denn mit dem novellierten Schulgesetz

- erhöhen wir die Bildungschancen der Schülerinnen und Schüler und schaffen mehr Bildungsgerechtigkeit,

- stärken wir die pädagogischen Kompetenzen unserer Schulen,

- entlasten wir die Lehrkräfte,

- beziehen wir die Erziehungsberechtigten mehr in die Bildungsprozesse ihrer Kinder ein,

- sorgen wir für die Gleichberechtigung aller Schulformen, ohne diese wie unter schwarz-gelb gegeneinander auszuspielen,

- stärken wir die kommunale Selbstverantwortung der Schulträger und geben ihnen neue Instrumente als Reaktion auf den demografischen Wandel an die Hand,

- entwickeln wir die Inklusion mit Augenmaß weiter,

- kurzum:

Wir machen aus einem guten Schulgesetz ein richtig gutes Schulgesetz, und zwar ein Bildungschancengesetz, was seinen Namen auch verdient.

Ich will dies näher ausführen:

Erstens: Heute ist ein richtig guter Tag, weil wir einen dreizehnjährigen Bildungsgang am Gymnasium und an den nach Schulzweigen gegliederten Kooperativen Gesamtschulen einführen.

Wir geben unseren Schülerinnen und Schülern mehr Lernzeit und Raum für Individualität und Kreativität. Durch eine umfangreichere Stundentafel verbessern wir die Qualität an den Schulen und können unsere Schülerinnen und Schüler besser auf Studium und Beruf vorbereiten. Und wir haben uns ganz bewusst gegen ein Nebeneinander von G 8 und G 9 entschieden, weil dies kaum zu bewältigende organisatorische Schwierigkeiten für unsere Schulen bedeuten würde. Und gleichzeitig schließen wir natürlich nicht aus, dass Schülerinnen und Schüler durch Überspringen eines Schuljahrgangs ihr Abitur auch nach 8 Schulbesuchsjahren in den Sekundarbereichen erwerben können.

Zweitens: Heute ist ein richtig guter Tag, weil wir den Ganztag stärken.

Mit unserer Zukunftsoffensive Bildung und der gesetzlichen Verankerung des Ganztags schaffen wir mehr Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit für unsere Schülerinnen und Schüler. Und wir haben endlich für Rechtssicherheit und Entlastung für unsere Schulen gesorgt. Ganztagsschulen stellen zukünftig eine kindgerechte, lehrergerechte und lerngerechte Rhythmisierung des Schulalltags sicher. Das beinhaltet vielfältige Lernarrangements, die selbstständiges, eigenverantwortliches Lernen ermöglichen, lernförderliche Organisationsstrukturen sowie die Öffnung von Schule von innen nach außen. Kurz: eine veränderte Lern- und Schulkultur.

Drittens: Heute ist ein richtig guter Tag, weil wir einen nicht kindgerechten Leistungsdruck im Primarbereich abbauen und die Schullaufbahnempfehlung abschaffen.

Wir folgen damit auch einer aktuellen Forderung der Bildungsforschung, die zu dem Ergebnis kommt, dass die Schullaufbahnempfehlung bei den Kindern in einer sensiblen Entwicklungsphase massiven Stress auslösen kann und sich als negative sozial-selektive Maßnahme erwiesen hat.

Wir sind zudem der Meinung, dass unsere Lehrkräfte die Erziehungsberechtigten in zwei (dialogischen) Beratungsgesprächen sehr viel individueller, zielgerichteter und umfassender über den weiteren Bildungsgang ihrer Kinder und ihre Entwicklung beraten können.

Mit der Abschaffung der Schullaufbahnempfehlung erhöhen wir die Bildungschancen unserer Kinder. Und wir wenden uns gegen die Stigmatisierung von Kindern, die gegen die Laufbahnempfehlung eine höhere Schule besuchen wollen.

Viertens: Heute ist ein richtig guter Tag, weil wir neue Formen jahrgangsübergreifenden Unterrichts in der Grundschule ermöglichen.

Damit gehen wir auf die Bedürfnisse von Kindern ein und ermöglichen eine bessere Entfaltung ihrer Potenziale. Bildungsexperten weisen immer wieder darauf hin, dass die Entscheidung für einen Bildungsweg in Deutschland viel zu früh fällt: Zum einen ist die Intelligenz bei Schülerinnen und Schülern im Alter von zehn Jahren noch nicht voll ausgereift, zum anderen sind Faktoren wie Lernbereitschaft oder soziale Fähigkeiten wichtig für die Schulkarriere. In den meisten Ländern gehen die Kinder daher länger auf eine gemeinsame Schule als in Deutschland.

Mit dem zunehmenden ganzheitlichen und handlungsorientierten Lernen wird der Erkenntnis Rechnung getragen, dass es in der Schule nicht nur um die Vermittlung von Faktenwissen und um fachliche Lernziele geht. Es geht vor allem um die Entwicklung der individuellen Handlungsfähigkeit, aber auch um die Bildung des Charakters, der Schulung emotionaler Intelligenz. Damit wird eine bessere Chancengleichheit erreicht, damit der Bildungserfolg der Schülerinnen und Schüler nicht mehr so entscheidend von der sozialen Herkunft abhängt.

Fünftens: Heute ist ein richtig guter Tag, weil wir eine schüler- und einzelfallbezogene Überprüfung bei Nichtversetzungs- und Überweisungsentscheidungen einführen.

Wir schaffen das Sitzenbleiben nicht ab, sondern – ganz im Gegenteil – wir stärken die pädagogische Kompetenz der Schulen, indem wir jeden Einzelfall einer pädagogischen Gesamtüberprüfung zuführen. Dieses tun wir im Sinne der Bildungschancen jeder einzelnen Schülerin und jedes einzelnen Schülers.

Und die von schwarz-gelb eingeführte Diskriminierung und Stigmatisierung von Schülerinnen und Schülern nach Klasse 6, die entgegen der Schullaufbahnempfehlung eine höhere Schule besuchen, wird auch endlich der Vergangenheit angehören.

Sechstens: Heute ist ein richtig guter Tag, weil wir die Überweisungsentscheidungen aus Gründen des Kindeswohls oder zum Drittschutz einer regelmäßigen Überprüfung unterziehen.

Wir lassen kein Kind durchs Raster fallen, sondern schauen uns die Bildungsbiografie jedes Kindes im Sinne seiner Bildungschancen ganz genau und vor allem in regelmäßigen Abständen an.

Siebtens: Heute ist ein richtig guter Tag, weil wir die Gesamtschule als ersetzende Schulform auf gesetzlicher Ebene einführen.

Jahrelang mussten Schülerinnen und Schüler an Gesamtschulen abgewiesen werden, weil nicht ausreichende Kapazitäten zur Verfügung standen. Jahrelang wurde der Wunsch von Eltern nach gemeinsamem Unterricht boykottiert. Wir beenden nun die jahrelange - gegen den breiten Willen der Eltern - erfolgte gesetzliche Diskriminierung einer erfolgreichen Schulform und setzen verstärkt auf gemeinsames Lernen.

Kein Schulträger wird gezwungen, eine Gesamtschule vorzuhalten. Wir schaffen auch keine Schulform ab, sondern bieten in Zeiten rückläufiger Schülerzahlen für die Schulträger flexiblere Regelungen an – auch die Oberschule hat ihren gesicherten Platz im niedersächsischen Schulsystem.

Achtens: Heute ist ein richtig guter Tag, weil wir das Gymnasium stärken und im Bestand schützen.

Das Gymnasium bleibt die stärkste Schulform in Niedersachsen. Wir statten das Gymnasium sogar noch besser mit Förderstunden, mit mehr Stunden für das Abitur nach neun Jahren und mit mehr Zeit zum Lernen aus. Es wird auch kein Sterben von Gymnasien geben – das hat die umfassende Anhörung einhellig ergeben. Und zu Lasten eines Dritten (Schulträgers), der nicht zur Aufnahme auswärtiger Schülerinnen und Schüler bereit ist, kann kein Gymnasium durch die Errichtung einer dieses ersetzenden Gesamtschule geschlossen werden.

Das Gymnasium wird daher auch zukünftig und flächendeckend in den Städten und im ländlichen Raum seine Funktion als Ort zielstrebigen Lehrens und Lernens mit dem Ziel der Hochschulreife erfüllen.

Neuntens: Heute ist ein richtig guter Tag, weil wir die kommunale Selbstverantwortung stärken.

Wir ermöglichen den Schulträgern neue Formen der kommunalen Zusammenarbeit und variable Regelungen zur Schulträgerschaft. Allen Schulträgern wird die Möglichkeit gegeben, flexibel auf den demografischen Wandel zu reagieren und das Bildungsangebot vor Ort passgenau zu gestalten.

Zehntens: Heute ist ein richtig guter Tag, weil wir zur Inklusion und zum gemeinsamen, diskriminierungsfreien Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung an einer allgemeinen Schule stehen.

Wir entwickeln die Inklusion behutsam fort und bauen Schritt für Schritt die Rechte von Kindern mit einer Behinderung weiter aus. Wir wissen aber auch, dass die Forderung nach einer inklusiven und ganztägigen Schule an alle Beteiligten anspruchsvolle Aufgaben stellt und ein Umdenken beim Umgang mit Heterogenität verlangt. Daher haben wir im Gesetzgebungsverfahren genau zugehört, die Ängste und Befürchtungen der Betroffenen aufgenommen und bei der Inklusion das Tempo gezügelt.

Ich stelle nach alledem fest: Heute ist ein richtig guter Tag für unsere Schülerinnen und Schüler, Eltern, für Lehrkräfte, Schulleitungen und Schulträger. Mit diesem Schulgesetz wird unser Bildungssystem in Niedersachsen gerechter, moderner und es bietet mehr Chancen und Möglichkeiten für alle. Es ist ein richtig guter Tag für ein richtig gutes Gesetz!“

Anrede,

heute ist auch ein richtig guter Tag, weil wir nicht nur unser Schulgesetz zu einem richtig guten Bildungschancengesetz machen. Nein, heute ist auch ein richtig guter Tag, weil wir zusätzlich noch die schulische Arbeitszeitverordnung ändern und die Lehrkräfte bei Schulfahrten entlasten und ihnen endlich Rechtssicherheit geben. Es waren „Schwarz-Gelb“, welche jahrzehntelang keinen Finger für Schulfahrten gerührt haben. Mit der neuen Arbeitszeitregelung bei Schulfahrten erkennen wir das außergewöhnliche Engagement unserer Lehrerinnen und Lehrer bei Schulfahrten an. Wir unterstützen und würdigen die pädagogische Bedeutung der Schulfahrten, indem wir unsere Lehrkräfte in diesem Bereich deutlich entlasten.

Meine Damen und Herren von der Opposition,

es gibt nach den konstruktiven Beratungen in den Ausschüssen überhaupt keinen vernünftigen oder sachlichen Grund dafür zu sagen: „Hände weg vom Schulgesetz“. Es gibt wahrhaftig viele ausgezeichnete Gründe dafür, dieser Schulgesetzänderung zuzustimmen. Stimmen Sie diesem Bildungschancengesetz zu. Ich bin sicher: Die an Schule Beteiligten, insbesondere die Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen, werden es Ihnen danken! Vielen Dank!

Artikel-Informationen

erstellt am:
03.06.2015
zuletzt aktualisiert am:
04.06.2015

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