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Rede der Niedersächsischen Kultusministerin Frauke Heiligenstadt zu TOP 12 der Sitzung des Niedersächsischen Landtags am 12. Dezember 2016

Gesetz zur Verankerung der Pflichten von Schülerinnen und Schülern im Niedersächsischen Schulgesetz



Gesetzentwurf der Fraktion der FDP (Drs. 17/7023)


Es gilt das gesprochene Wort!


Anrede,

zunächst einmal gibt mir der Gesetzentwurf der Fraktion der FDP an dieser Stelle die Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass der in der Gesetzesbegründung aufgeführte Uralterlass von 1995 - der in der schwarz-gelben Regierungszeit übrigens nie grundsätzlich überarbeitet wurde - von dieser Landesregierung mit Wirkung vom 01.12.2016 neu gefasst worden ist.

Weiterhin stelle ich fest, dass die Fraktion der FDP ganz offensichtlich den § 56 Abs. 4 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen aus dem Bayerischen Schulgesetz übernommen hat. Dabei bleiben Sie allerdings eine fundierte rechtssystematische Analyse des Regelungsbedarfs schuldig. Auch bleibt die Zielrichtung Ihres Antrages recht unbestimmt. Schließlich ergeben sich für mich mit den von Ihnen zusätzlich vorgenommen Ergänzungen rechtsstaatliche Bedenken.

Ich will dies im Einzelnen gerne näher ausführen:

Zu § 58 Abs. 2 NSchG-Entwurf:

Der Gesetzentwurf der FDP soll – jedenfalls nach der mitgelieferten Begründung – im neuen § 58 Absatz 2 den Bezug zwischen den Pflichten der Schülerinnen und Schüler zu dem – in § 2 Niedersächsisches Schulgesetz geregelten – Bildungsauftrag der Schule herstellen. Darüber hinaus soll den Schülerinnen und Schülern gesetzlich auferlegt werden alles zu unterlassen, was den ordnungsgemäßen Schulbetrieb der eigenen oder einer anderen Schule unmöglich macht.

Zunächst einmal stellt sich die Frage, welch zusätzlicher Regelungsgehalt einer derartigen Regelung, wie sie hier vorschlagen wird, zu entnehmen wäre.

Das Rechtsverhältnis der Schülerinnen und Schüler zur Schule – die Juristen sprechen hier von dem sog. „Schulverhältnis“ – ist ein geordnetes öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis. Es ist gestützt auf das Recht auf Bildung und die allgemeine Schulpflicht nach Art. 1 und 2 unserer Niedersächsischen Verfassung sowie die Regelungen des Niedersächsischen Schulgesetzes. Maßnahmen der Schule und der Schulbehörden – etwa zur Durchsetzung des schulischen Bildungsauftrages – ergehen daher nicht in einem gesetzesfreien Raum. Das heißt aber nicht, dass ein Schulgesetz dieses Rechtsverhältnis in allen Einzelheiten normieren muss. Das Parlament kann und soll auch nicht sämtliche Details des Schulverhältnisses festlegen. Eine derartige lückenlose Regelung ist von der Verfassung weder vorgesehen noch gewollt. Im Gegenteil, die Schule – und ganz besonders die von Ihnen selbst mit eingeführte Eigenverantwortliche Schule – erfordert gesetzliche Regelungen zum Schulverhältnis nur in den Grundzügen. Die Ausgestaltung der Einzelheiten des Schulverhältnisses durch Erlasse und insbesondere selbstgesetzte Regeln der schulischen Organe wie Schulvorstand oder Konferenz gehört zu den Aufgaben der Schulverwaltung und insbesondere der Schule. Und so ist dies auch richtig: Denn dort besteht die größere Sachnähe. Und dort - vor Ort - sind die spezifischen Gegebenheiten bestens bekannt.

Schulen können daher bereits jetzt ihre Schülerinnen und Schüler dazu verpflichten, beispielweise die Schul- oder Hausordnung zu beachten, den Unterricht nicht zu stören, im Unterricht das Handy abzustellen, in den Pausen nicht übermäßig zu lärmen, Hausaufgaben zu erledigen, an eintägigen Schulfahrten teilzunehmen usw.

Schulen können aber auch verlangen, dass zum Beispiel ein Junge im Unterricht eine gesichtsverhüllende Maske abnimmt. Auch soweit der Gesetzeszweck sein sollte – so habe ich es zumindest Ihrer Presseerklärung entnommen – eindeutige rechts- oder linksextreme, aber nicht verbotene Kleidung in Schulen zu verbieten, haben Schulen einen entsprechenden Handlungsspielraum. Schulen können die von den Schülerinnen und Schülern getragenen Marken und Kleidungsstücke, die nicht ohnehin nach § 86a Strafgesetzbuch verboten sind, in der Schulordnung verbieten, wenn ernsthafte Störungen und Belästigungen von der von den Schülerinnen und Schülern getragenen Kleidung ausgehen.

Oder anders ausgedrückt: Schulen haben derzeitig eine ausreichende rechtliche Grundlage, um den von Ihnen beschriebenen Gesetzeszweck zu erreichen.

Insoweit bringt uns Ihr Gesetzentwurf an dieser Stelle nicht weiter.

Soweit Schulen allerdings mit schulischen Maßnahmen wesentlich in die Rechts- und Freiheitsphäre der Schülerinnen und Schüler sowie der Erziehungsberechtigten eingreifen, was insbesondere bei Grundrechtseingriffen der Fall ist, bedarf es einer besonderen gesetzlichen Legitimation. Die Juristen sprechen in diesem Fall von dem sog. Parlamentsvorbehalt.

Und hier liegt möglicherweise das Kernanliegen Ihres Antrages, obwohl Sie, meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion, dieses Anliegen zumindest im Gesetz selber oder in der Begründung gar nicht ansprechen. Sie wollen möglicherweise – gestützt auf die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes aus dem Jahr 2014 – das bereits in Niedersachsen bestehende Vollverschleierungsverbot für Schülerinnen an öffentlichen Schulen auf eine gesetzlich breitere Grundlage stellen.

Wenn dies die Zielrichtung Ihres Gesetzantrages sein sollte, dann will ich offen sagen, dass über eine Klarstellung im § 58 NSchG im Sinne einer Verdeutlichung der Rechtslage sicherlich nachgedacht werden kann. Man sollte diese Zielrichtung in einem Gesetzesentwurf dann aber auch klar. Und dies sollten wir dann auch offen diskutieren, wozu die Landesregierung auch gern bereit ist.

Zu § 58 Abs. 3 NSchG-Entwurf:

Nun komme ich noch kurz zu den Ordnungsmaßnahmen.

Ihr Gesetzentwurf, der auf den ersten Blick nur eine rechtstechnische Umsetzung Ihres Vorschlages zu Absatz 2 in das Recht der Ordnungsmaßnahmen zu beinhalten scheint, enthält bei genauerem Hinsehen eine außerordentlich weitreichende Ausweitung der Möglichkeiten, eine Ordnungsmaßnahme verhängen zu können. Denn während nach geltendem Recht mit Erziehungsmitteln und Ordnungsmaßnahmen immer nur auf ein bereits in der Vergangenheit liegendes Fehlverhalten reagiert werden kann, soll nunmehr auch die vorgelagerte Planung einer Störung des Schulbetriebes oder der Schulordnung mit einer Ordnungsmaßnahme belegt werden können. Ein Blick in das Strafrecht zeigt, dass selbst dort die Planung einer Straftat in der Regel straffrei ist und nur bei den allerwenigsten, besonders schwerwiegenden Delikten strafbewehrt ist. Eine derartige Vorverlagerung der Pflichtverletzung in den Bereich der bloßen Planung mutet doch sehr nach einer Belegung von Gedanken mit Ordnungsmaßnahmen an und unterliegt erheblichen rechtsstaatlichen Bedenken. Diese rechtsstaatlichen Bedenken kann der vorliegende Gesetzentwurf auch in der Begründung nicht ausräumen. Dies würde daher sicher in den Fachausschüssen zu diskutieren sein.

Ich betrachte Ihren Gesetzentwurf daher als Beitrag einer Diskussion, die in dem Fachausschuss weitergeführt werden sollte.

Artikel-Informationen

erstellt am:
13.12.2016

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