Rede der Niedersächsischen Kultusministerin Frau Julia Willie Hamburg am 09.10.2025 im Niedersächsischen Landtag zu TOP 21: „Wie steht es um die Inklusion im Bildungswesen?“
Große Anfrage der Fraktion der CDU, LT-Drs. 19/6658 und Antwort: 19/8436
- Es gilt das gesprochene Wort -
Anrede,
Alle Menschen werden individuell gefördert und mit ihren Talenten, Begabungen sowie besonderen Bedarfen bestmöglich unterstützt.
Das sind die Grundsätze einer inklusiven Schule. In Niedersachsen hat sich dieses Haus 2012 gemeinsam auf einen Weg verständigt, den ich nach wie vor für richtig und wertvoll halte, um parteiübergreifend eine nachhaltige Umsetzung zu gestalten. Denn die inklusive Schule ist nichts, was von heute auf morgen entsteht. Es ist ein Langstreckenlauf, der eines stetigen Nachsteuerns bedarf.
Auf dieser Basis sind der Aufbau und die Weiterentwicklung einer inklusiven Schullandschaft hier in Niedersachsen zentrale Anliegen der Landesregierungen seit der Einführung der inklusiven Schule ab dem Schuljahr 2013/2014. Mit hohem Aufwand, hohen finanziellen Mitteln, einem eigens hierfür eingerichteten Fachbereich Inklusive Bildung in den Regionalen Landesämtern für Schule und Bildung sowie einer planvollen und zugleich agilen Vorgehensweise wurden zahlreiche Rahmenbedingungen geschaffen. Damit war und ist das Ziel verbunden, alle Schülerinnen und Schüler in der inklusiven Schule bestmöglich fördern zu können.
Anrede,
189 Fragen in 26 Kapiteln umfasst die Große Anfrage, mit der wir uns intensiv und ressortübergreifend auseinandergesetzt haben. Das Ergebnis der Beantwortung ist jedoch nicht nur hinsichtlich des Umfangs besonders, sondern vor allem auch aufgrund des Inhalts. Dadurch wird deutlich, wie vielschichtig der Prozess des Aufbaus einer inklusiven Schullandschaft ist, welche Maßnahmen ergriffen wurden, wie die Steuerung dieses komplexen Unterfangens funktioniert und welche Ergebnisse schon vorgewiesen werden können.
Ich bin den vielen Mitarbeitenden im MK, im MWK und im MS sowie in den RLSB dankbar für die von einer hohen Fachlichkeit gekennzeichneten Antwortbeiträge.
Anrede,
In vielen wichtigen Bereichen haben wir echte Fortschritte erreicht und Erfolge für die Inklusion in den Schulen verbucht:
Der Abbau der Förderschulen im Förderschwerpunkt Lernen ist ein auf 15 Jahre angelegter Prozess. Von den ursprünglich 171 Förderschulen Lernen im Jahr 2013 wurden 2024 noch 57 geführt. 2028 wird dieser Prozess enden, ein bedeutsamer Baustein für den Aufbau einer inklusiven Schullandschaft ist damit komplettiert.
Für die Schülerinnen und Schüler mit dem Unterstützungsbedarf Lernen bedeutet dies, dass keine Separierung mehr stattfindet und sie die Schule ihrer Wahl besuchen können. Sie dient dem Wohl der Schülerinnen und Schüler, den erweiterten Möglichkeiten zu lernen, sozial eingebunden zu werden sowie einem letztlich größeren Lernerfolg mit besseren Abschlüssen.
Wichtig für die Inklusion sind gut qualifizierte Fachkräfte. Und dabei geht es nicht nur um Förderschullehrkräfte, die nicht nur in Niedersachsen, sondern bundesweit intensiv gesucht werden. Es ist doch so: Wir wollen, dass alle unsere Lehrkräfte gut inklusiv unterrichten können. Viele große und kleine Puzzleteile tragen dazu bei, dass wir hier Stück für Stück vorwärtskommen:
- So wurden die Studienkapazitäten für Sonderpädagogik verdoppelt, die Früchte dieser Maßnahme können wir nun sukzessive ernten.
- Die Einstellung und Versetzung von Förderschullehrkräften an die inklusiven Schulen sind seit 2020 möglich. Inzwischen haben über 1.600 Förderschullehrkräfte eine inklusive Schule als Stammschule. Alle Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler können davon profitieren, da nun zuverlässige Ansprechpersonen vor Ort zur Verfügung stehen.
- Weiterhin wurden 60.000 Lehrkräfte zur Gestaltung des inklusiven Unterrichts fortgebildet und zusätzliche Stellen für Pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschaffen. Aktuell arbeiten in den inklusiven Schulen 139 PM. Vorbehaltlich der Zustimmung des Haushaltsgesetzgebers werden wir ab dem 01.08.2026 100 zusätzliche Vollzeiteinheiten zur Einstellung von Pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Verfügung stellen. Auch wenn wir dadurch noch lange nicht alle Stellenbedarfe decken können, erhöhen wir so Schritt für Schritt die Attraktivität der inklusiven Schule und entwickeln sie stetig weiter zu einem Lernort für alle Schülerinnen und Schüler.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Prävention von herausfordernden Verhaltensweisen. Fragen hierzu bewegen die Schulen und Lehrkräfte in ihrem Alltag immer wieder. Das Konzept zum Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen (Konzept ES) ist seit März 2022 am Start und wird kontinuierlich weiterentwickelt. Die Schulen und die Lehrkräfte haben dadurch konkrete Hilfestellungen dafür erhalten, mit herausfordernden Verhaltensweisen von Schülerinnen und Schülern pädagogisch zu arbeiten. Viele Anregungen aus dem Konzept ES werden bereits von den Schulen umgesetzt, in den Regionen entstehen spezielle Projekte, um Schwierigkeiten im emotionalen und sozialen Bereich wirksam vorbeugen zu können. Als Beispiel kann ich hier den „Chancenraum“ im Landkreis Hameln nennen, der dort im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung zwischen dem Kreis und dem RLSB eingerichtet wurde und sich als wirksamer Bestandteil der inklusiven Arbeit bewährt hat.
Ebenso elementar ist die sonderpädagogische Beratung.
In den Fachbereichen Inklusive Bildung der Regionalen Landesämter für Schule und Bildung wurde ein umfängliches und starkes Beratungssystem entwickelt und etabliert. Im Dezember 2023 war es soweit: Insgesamt 46 RZI stehen seitdem landesweit flächendeckend zur Verfügung. Sie sind ein großer Gewinn für die Regionen und tragender und unverzichtbarer Bestandteil des Beratungs- und Unterstützungssystems. Für alle Fragen rund um die inklusive Schule sind dort niedrigschwellig Ansprechpersonen zu finden, sei es für die Schulen und Lehrkräfte oder für die Eltern, Schülerinnen und Schüler. Auch alle weiteren Beteiligten können sich an das RZI wenden.
Weiterhin wurden die Mobilen Dienste neu aufgestellt. Sie sind ein weiteres wichtiges Puzzleteil zur Umsetzung von individueller Förderung für die betroffenen Schülerinnen und Schüler. Die Mobilen Dienste stellen sicher, dass die erforderliche Expertise bedarfsgerecht bei den Schülerinnen und Schülern ankommt und so die barrierefreie Teilhabe am Unterricht gewährleistet wird.
Um den Erfolg der Mobilen Dienste weiterhin zu sichern, werden aktuell weitere Lehrkräfte für die Mobilen Dienste in den besonders raren Förderschwerpunkten Hören und Sehen qualifiziert. Zudem wurden ausführliche Handreichungen für die Mobilen Dienste in den verschiedenen Förderschwerpunkten veröffentlicht.
Anrede,
Was die verschiedenen Themenbereiche der Großen Anfrage zeigen, ist die Vielschichtigkeit der inklusiven Schule. Es geht nicht nur um die bereits genannten Handlungsstränge. Es müssen weitere Ebenen berücksichtigt werden. Dazu gehören z. B. die Qualifikation des sonderpädagogischen Personals, die Kommunikation mit Elternschaft und Verbänden, das ressortübergreifende Thema der Schulbegleitung oder die Fragen nach der Finanzierung und der Ressourcenplanung.
Anrede,
ich will nicht verhehlen, dass die Inklusion an vielen Stellen in Niedersachsen nach wie vor mit Herausforderungen verbunden ist. Das war auch nicht anders zu erwarten bei so einem umfassenden Reformvorhaben. Gleichzeitig kann ich aber auch feststellen, dass viele damit verbundene Maßnahmen und Vorhaben bereits umgesetzt und auf einen guten Weg gebracht sind, so dass sie jetzt ihre Wirkung entfalten können. Der rechtliche Rahmen für die zukünftige Weichenstellung ist geebnet. Ebenso wird den verschiedenen regionalen Aspekten, die wir hier in unserem Flächenland haben, durch ein hohes Maß an Flexibilität begegnet.
Ein weiterer großer Erfolg, den wir uns gegenseitig immer wieder vor Augen führen müssen, ist etwas, was eigentlich gar nicht sichtbar ist und in keiner Statistik abgebildet werden kann, nämlich: Inklusion gehört längst zum Selbstverständnis der Schulen in Niedersachsen. Landesweit gibt es zahlreiche Beispiele für die erfolgreiche Umsetzung der inklusiven Schule und des Gewinns, den alle Schülerinnen und Schüler daraus ziehen. Das erlebe ich bei meinen vielen Besuchen in verschiedenen Schulen immer wieder und dafür möchte ich mich bei allen Engagierten Schulleitungen, Lehrkräften und weiteren Mitarbeitenden, die mit ihrem engagierten Einsatz dieses Selbstverständnis täglich leben, an dieser Stelle einmal ganz herzlich bedanken.
Wichtig ist, dass die Rahmenbedingungen dafür geschaffen wurden und stetig verbessert werden und dass sonderpädagogische Expertise schnellstmöglich dort ankommt, wo sie benötigt wird. In der Inklusion drehen wir ständig an sehr vielen Stellschrauben, überprüfen die bisherige Zusammenarbeit, erstellen Regionale Inklusionskonzepte, entwickeln gesetzliche und untergesetzliche Regelungen weiter, bilden Lehrkräfte entsprechend der jeweiligen individuellen Bedarfslage weiter und schaffen Kapazitäten, um sonderpädagogische Expertise immer mehr bei den niedersächsischen Lehrkräften zu etablieren. Die Fäden für all das laufen im Kultusministerium zusammen.
Anrede,
Inklusion ist nicht das Ziel – Inklusion ist der Weg. Diesen beschreitet die Niedersächsische Landesregierung sorgfältig, nachhaltig und konsequent. Dazu erhebt sie Zahlen, betrachtet kritisch die Entwicklungen, steuert nach, wenn dies erforderlich ist und gestaltet mit Weitblick die nächsten Schritte auf dem gemeinsamen Weg.
Inklusion in der Schule bedeutet nicht nur eine gemeinsame Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Behinderungen oder Einschränkungen. Inklusion in der Schule – und so wird diese Arbeit auch in meinem Haus verstanden – betrifft jede Schülerin und jeden Schüler. Ziel ist eine individuelle Förderung und Unterstützung aller Schülerinnen und Schüler.
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass Schulen besser werden – im Sinne aller Schülerinnen und Schüler.
Kultusministerin Julia Willie Hamburg
Artikel-Informationen
erstellt am:
09.10.2025
Ansprechpartner/in:
Britta Lüers
Nds. Kultusministerium
Pressesprecherin
Hans-Böckler Allee 5
30173 Hannover
Tel: 0511 120 7148