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Rede des Niedersächsischen Kultusministers Grant Hendrik Tonne zu TOP 51 a der Landtagssitzung am 19.12.2019

Fragestunde: „Konsequenzen aus PISA-Studie - Was tut die Landesregierung, um die Bildungsqualität deutlich zu steigern und Bildungsgerechtigkeit herzustellen?“ - B`90/Die Grünen – Drs. 18/5335




Es gilt das gesprochene Wort!


Anrede,

es ist unstrittig wichtig, dass wir u.a. mit einer soliden Datenbasis arbeiten und auch überprüfen, wie gut unser Schulsystem ist. Hierbei geht es nicht um gefühlte Werte, sondern um Zahlen, Daten und Fakten, wie auch in der jüngst veröffentlichten internationalen Studie PISA.

Lassen Sie mich hier Frau Professor Kristina Reiss vom Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien an der Technischen Universität München zitieren, die den deutschen Teil der PISA-Studie leitet: „Die gute Nachricht ist, dass der Großteil der Jugendlichen in Deutschland hohe Lesekompetenzen hat – eingeschlossen [und dies halte ich für eine wichtige Bestätigung unserer Bemühungen um die Digitalisierung] die Fähigkeit, relevante Informationen im Internet zu finden und zu bewerten.“

Der Blick auf andere Staaten, so Professor Reiss, zeige: „Es ist keineswegs selbstverständlich, ein solch gutes Niveau halten zu können.“


Anrede,

die Tatsache, dass die Leistungen der deutschen Schülerinnen und Schüler im Lesen – trotz der stark zugenommenen Heterogenität in den Schulen – stabil geblieben sind und darüber hinaus der Anteil der leistungsstarken Leserinnen und Leser um fast 50 Prozent gestiegen ist, sollten wir wertschätzen und den Lehrkräften und Schulleitungen für ihre hervorragende Arbeit danken. Fast drei Viertel der Schülerinnen und Schüler geben übrigens an, dass ihre Lehrkräfte offensichtlich gerne unterrichten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sollte niemand kleinreden.

Gleichzeitig geben die Ergebnisse jedoch auch Anlass zur Sorge:

Ein Fünftel der 15-Jährigen in Deutschland ist kaum in der Lage, den Sinn von Texten zu erfassen und zu reflektieren. Der Zusammenhang zwischen Lesekompetenz und sozialer Herkunft der Jugendlichen ist dabei stark ausgeprägt. Dies ist ein nicht akzeptables Ergebnis! Und da gebe ich mich auch nicht damit zufrieden, dass wir in Niedersachsen – wie der IQB-Bildungstrend 2018 deutlich gemacht hat – besser dastehen als der bundesdeutsche Schnitt.

Vor diesem Hintergrund beantworte ich die Fragen wie folgt:


Frage 1:

[Was plant die Landesregierung, um den Bildungserfolg vom sozioökonomischen Hintergrund der Schülerinnen und Schüler zu entkoppeln und die Bildungsgerechtigkeit zu fördern (bitte Aufschlüsseln nach Maßnahmen und ggf. unter Nennung des geplanten Maßnahmenbeginns)]

Chancengleichheit gehört für mich zu den wichtigsten Handlungsfeldern überhaupt. Den Zugang zu Bildung, auch zur frühkindlichen Bildung, für alle Kinder unabhängig ihrer Herkunft zu eröffnen, ist ein wesentlicher Schwerpunkt der Landesregierung. Die Einführung der Beitragsfreiheit für über 3-jährige ist eine wichtige Maßnahme, um die Bildungsteilhabe für aller Kinder unabhängig ihrer Herkunft zu erhöhen.

Die Landesregierung setzt die Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU konsequent mit dem Ziel um, dass Schulgeldzahlungen einer Berufswahl im Bereich der Sozial-, Gesundheitsfach- und Pflegeberufe nicht im Wege stehen dürfen. Der Einstieg in die Schulgeldfreiheit bereits in der laufenden Wahlperiode ist sichergestellt und wird Schritt für Schritt umgesetzt.

Ab dem 01.08.2019 haben wir jeweils aufsteigend in den ersten Klassen der sozialpädagogischen Bildungsgänge „Berufsfachschule Sozialpädagogische Assistentin/Sozialpädagogischer Assistent“ und „Fachschule Sozialpädagogik“ sowie für die Ausbildungsgänge der Berufsrichtungen Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und Podologie die Schulgeldfreiheit eingeführt. Im kommenden Jahr werden auch die Atem-, Sprech- und Stimmlehrer in die Förderung aufgenommen. Dies bedeutet einen großen Schritt im Hinblick auf mehr Bildungsgerechtigkeit. Die Einführung der Schulgeldfreiheit für die Bildungsgänge weiterer Sozial- und Gesundheitsfachberufe ist in dieser Legislaturperiode weiterhin konkret vorgesehen, kann jedoch nur innerhalb des Finanzrahmens erfolgen.

Wir sind damit auf dem Weg, eine umfassende Schulgeld- und Gebührenfreiheit von der frühkindlichen Bildung bis hin zu Universität einzuführen. Es sei daran erinnert, dass wir die Studiengebühren bereits zum Wintersemester 2014/15 abgeschafft haben.

Anrede,

Chancengleichheit gehört für mich zu den wichtigsten Handlungsfeldern überhaupt.

Die Landesregierung setzt zu ihrer Förderung aktuell unterschiedliche Maßnahmen für die Schulen um, die unmittelbar in unseren Schulen ankommen. So unterstützen wir beispielhaft Schulen mit besonderen Lehrkräftestunden, wenn sie einen hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund haben oder in einem besonderen sozialökonomischen Brennpunkt liegen. Grundschulen mit einem hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt „Emotionale und soziale Entwicklung“ erhalten ebenfalls besondere Lehrkräftestunden. Im laufenden Schuljahr standen hierfür wieder 3.600 Lehrkräftestunden für die Schulen zur Verfügung.

Eine nahtlose Sprachförderung vom Elementarbereich bis zum Einstieg ins Berufsleben ist unabdingbar.

Seit dem Schuljahr 2018/2019 wird die Sprachentwicklung aller Kinder, die eine Kindertagesstätte besuchen, dort durch die sozialpädagogischen Fachkräfte beobachtet, dokumentiert und alltagsintegriert gefördert. Spätestens mit Beginn des Kindergartenjahres, das der Schulpflicht unmittelbar vorausgeht, ist die Sprachkompetenz des Kindes zu erfassen, ein Entwicklungsgespräch mit den Erziehungsberechtigten darüber zu führen und bei Bedarf eine individuelle und differenzierte Sprachförderung einzuleiten. Hierzu investieren wir über die besondere Finanzhilfe Sprachbildung und Sprachförderung jährlich rd. 32,5 Mio. Euro. Damit können sowohl zusätzliches pädagogisches Fachpersonal als auch Qualifizierungsmaßnahmen zur Steigerung der Sprachbildungskompetenz und prozessbegleitende Fachberatung gefördert werden.

Bei Kindern, die keine Kindertagesstätte besuchen, stellt die zuständige Grundschule im Rahmen der Schulanmeldung die Sprachkenntnisse fest und richtet für Kinder, die im Schuljahr vor der Einschulung keine ausreichenden Deutschkenntnisse haben, Sprachfördermaßnahmen ein. Diese Sprachförderung ist gesetzlich verankert und die Teilnahme daran ist verpflichtend.

Die Sprachförderung in Deutsch als Zweitsprache bleibt selbstverständlich weiterhin wichtig. Sie ermöglicht gute Chancen für Bildungserfolg und Teilhabe. Die landesweit insgesamt 37.000 Stunden für Sprachfördermaßnahmen an den allgemein bildenden Schulen werden hierfür bedarfsgerecht auf die einzelnen Schulen verteilt.

Der sehr erfolgreiche Schulversuch SPRINT wird in die neu eingeführte zweijährige Berufseinstiegsschule (BES 2020) überführt und dahingehend erweitert, die Sprachförderung für alle Schülerinnen und Schüler mit Unterstützungsbedarf zu ermöglichen.

Zur Unterstützung von Schulen mit besonderen sozialen Problemlagen haben wir 2018 mit 20 Schulen das Projekt Schule [PLUS] gestartet.

Wir haben diesen Schulen dazu zusätzlich rd. 60 Lehrerstellen u.a. zur Mehrklassenbildung und über 20 Schulsozialarbeiter/-innen zur Verfügung gestellt. Die Unterstützung dieser Schulen ist jedoch nicht ausschließlich mit der Zuweisung von weiteren Ressourcen zu lösen. Es gilt vielmehr, die Schule als Ganzes in den Blick zu nehmen.

Wir haben daher u.a. die Einstellung für Lehrkräfte erleichtert, die dauerhafte Budgetierung von Lehrkräftestunden ermöglicht und auch zusätzliche Tage für die schulinterne Lehrkräftefortbildung bereitgestellt. Außerdem können besondere pädagogische Konzepte auf Antrag der Schulen erprobt werden. Mit den Schulträgern sprechen wir intensiv Unterstützungsmaßnahmen ab.

Weiter schauen wir auch über den niedersächsischen Tellerrand und entwickeln gemeinsam mit dem Bund, den Ländern und der Wissenschaft in der neuen Initiative „Schule macht stark“ ab 2021 neue Konzepte, um die Chancengerechtigkeit zu verbessern.

Hierzu soll auch die Einführung das Programms „Lesen macht stark“ beitragen, mit dem zu Beginn des nächsten Jahres mit der Auswahl der Schulen und den ersten Informationsveranstaltungen für die teilnehmenden 100 Grund- und 50 weiterführenden Schulen starten. Das Programm wird einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Lesekompetenz leisten.

Schwerpunkte des Programms in der Grundschule sind

  • das frühzeitige Erkennen von Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb,
  • die Ableitung von individuellen Fördermaßnahmen, und die Stärkung des Selbstkonzeptes der Schülerinnen und Schüler.

In der Sekundarstufe I gehen die Maßnahmen weiter, indem die leseschwachen Schülerinnen und Schüler verstärkte Unterstützung erhalten und ihre Lesekompetenzen fächerübergreifend gestärkt werden.

Dass wir mit dem Start dieses Programms einen Nerv getroffen haben, zeigen die zahlreichen Anfragen und Bewerbungen von Schulen, die bereits im MK eingegangen sind.

Gleichzeitig planen wir auch weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Kompetenzen unserer Schülerinnen und Schüler in Bezug auf das Fach Mathematik.

Wir erarbeiten zurzeit exemplarische Lernaufgaben für das Fach Mathematik, die jeweils den zu erreichenden Leistungsstand am Ende des zweiten, vierten, sechsten und achten Schuljahrgangs wiedergeben. Lehrkräfte erhalten hiermit zusätzliche Orientierung und praktische Unterstützung bei der Planung und Auswertung ihres Unterrichtes.


Frage 2:

[Erwägt die Landesregierung - auch vor dem Hintergrund des Erfolges anderer Länder wie etwa Finnland - Maßnahmen, um Schulen zu schaffen, die Freiräume für individuelle Entwicklung und Förderung anbieten, gegebenenfalls welche?]

Eine individuelle Förderung für jede Schülerin und jeden Schüler ist das erklärte Ziel aller unserer Schulen. Diese Zielsetzung ist im Niedersächsischen Schulgesetz in § 54 verankert und spiegelt sich in allen Grundsatzerlassen wider.

Anrede,

Wir haben die inklusive Schule eingeführt. In Niedersachsen sind alle Schulen inklusiv. Das heißt für uns: Jede Schule soll jedem Kind gerecht werden. Jedes Kind soll seine Potentiale bestmöglich entfalten können. Jedem Kind steht jede Schule offen. Und wenn die Erziehungsberechtigten befinden, dass ihr Kind wegen besonderer Unterstützungsbedarfe eine Förderschule besuchen soll, steht ihnen auch dies offen.

Gesellschaft verändert sich, damit verändern sich auch Bildung und Bildungsinhalte.

Das Projekt „Bildung 2040“ ist daher ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit für noch bessere Bildung in Niedersachsen.

Unter Beteiligung von Akteuren aller Bildungsbereiche und unter Einbeziehung vieler Perspektiven diskutieren wir derzeit quer durch Niedersachsen über Bildungsziele, -strukturen und -inhalte der Zukunft.

Was und wie sollen Kinder und Jugendliche zukünftig lernen, damit sie zu selbstbestimmter Teilhabe fähig sind?

Es geht dabei immer um die Teilhabe aller Kinder und Jugendlichen, unabhängig von den wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen, unter denen sie aufwachsen.

Teilhabe nicht nur im Sinne von wirtschaftlichen Interessen, sondern für die selbstbestimmte Mitgestaltung einer demokratischen Gesellschaft. Teilhabe für alle, damit Bildungsgerechtigkeit gelingen kann.

Die intensiven Debatten geben uns dabei einen guten Einblick in die Zukunftsvisionen, Wünsche und Ideen im Land. Sie werden uns langfristig als „roter Faden“ für unsere Arbeit dienen – weit über das Tagesgeschäft hinaus.

Wir werden die nächsten Jahre für intensive gesellschaftliche Debatten über notwendige Weiterentwicklungen in der Bildungslandschaft nutzen.


Frage 3

[Welche Maßnahmen will die Landesregierung ergreifen, um dafür Sorge zu tragen, dass Schulen, die vor großen Herausforderungen in der Sozialstruktur stehen, nicht auch noch besonders unter Fachkräftemangel und schlechter Ausstattung leiden?]

Anrede,

für Schulen, die vor großen Herausforderungen in der Sozialstruktur stehen – und dies sind häufig Haupt-, Real-, Oberschulen – wird ein umfassendes Sonderprogramm zur Attraktivitätssteigerung aufgelegt, das am 01.02.2020 starten soll: das Programm „Starke Sek-I-Schulen“. Hierdurch sollen auch mehr Lehrkräfte für eine Arbeit an diesen Schulen motiviert werden.

Wir werden zunächst verschiedene Maßnahmen in voraussichtlich fünf Modellregionen erproben. Die Programmteilnahme ist dabei ein freiwilliges Angebot an die Schulen einer Modellregion. In diesen Regionen zu erprobende Maßnahmen können sein:

  • die Zahlung von Personalgewinnungszuschlägen für die Besetzung von Stellen an den entsprechenden Schulen,
  • die Zusage der Umzugskostenvergütung,
  • die Zuweisung von Beförderungsstellen bzw. Zulagen für die Lehrkräfte an diesen Schulen,
  • und der Ansatz, Gymnasiallehrkräften, die sich für drei Jahre an einer solchen Sek-I-Schule verpflichten, im Gegenzug eine Stelle an einem Gymnasium in Aussicht zu stellen.

Unser Ansatz ist es, die Schulen in ihrer Arbeit zu stärken, nicht aber, ihre Leistungen schlechtzureden. Neben Ressourcen gebührt unseren Schulen Wertschätzung für ihre Arbeit.

Dazu gehört auch, dass selbstverständlich auch unsere Haupt-, Real- und Oberschulen eine wertvolle Arbeit leisten und gute Bildungsabschlüsse für ihre Schülerinnen und Schüler vorhalten. Damit eröffnen sie u.a. Wege zu guten Ausbildungsmöglichkeiten.

Pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ergänzen die Arbeit der Lehrkräfte und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Erfüllung des Erziehungs- und Bildungsauftrages der Schule. Eine Projektgruppe in meinem Hause entwickelt derzeit ein Konzept, das die Schulen bei der Weiterentwicklung der multiprofessionellen Zusammenarbeit und dem Aufbau von multiprofessionellen Strukturen unterstützen soll. Der neue PM-Erlass schafft mit der Gewährung von Stunden für weitere Tätigkeiten die Voraussetzungen für eine gelingende multiprofessionelle Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Berufsgruppen in Schule. In diesem Zusammenhang werden wir auch in den Blick nehmen, wie zukünftig die Schulen noch stärker auf Basis objektivierbarer und definierter Kriterien mit zusätzlichen Stunden für pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgestattet werden können, um möglichst allen Schülerinnen und Schülern Chancengleichheit zu ermöglichen.


Kultusminister Grant Hendrik Tonne   Bildrechte: MK

Kultusminister Grant Hendrik Tonne

Artikel-Informationen

erstellt am:
19.12.2019

Ansprechpartner/in:
Sebastian Schumacher

Nds. Kultusministerium
Pressesprecher
Hans-Böckler-Allee 5
30173 Hannover
Tel: 05 11/1 20-71 48

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