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Wie können Reitunterricht und Feuerwehr in der Ganztagsschule rechtssicher angeboten werden?

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 17.07.2015 - TOP 46 - Nummer 2


Abgeordnete Christian Dürr, Björn Försterling, Almuth von Below-Neufeldt, Sylvia Bruns, Christian Grascha, Horst Kortlang, Hermann Grupe, Dr. Marco Genthe, Dr. Gero Hocker, Gabriela König, Jan-Christoph Oetjen und Dr. Stefan Birkner (FDP)

Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums namens der Landesregierung

Vorbemerkung der Abgeordneten

Kultusministerin Frauke Heiligenstadt hat am 1. Juli 2015 die vielfältigen Ganztagsangebote an Niedersachsens Schulen gelobt. Besonders hervor hob sie Reitunterricht sowie die Kooperation mit Jugendfeuerwehren und Musikschulen. Genau diese Angebote von Externen scheinen für das kommende Schuljahr jedoch nicht erhalten werden zu können, da die Schulen verunsichert sind, welche Personen im außerunterrichtlichen Teil der Ganztagsschulen rechtssicher eingesetzt werden dürfen.

Aus Informationen der Landesschulbehörde geht hervor, dass Personen keine Genehmigung für den Einsatz im Ganztag erhalten, die als ehrenamtlich Tätige auf Stundenbasis entschädigt werden, die einen Honorarvertrag, Werkvertrag oder Dienstleistungsvertrag mit der Schule abgeschlossen haben oder einen solchen Vertrag mit einem Kooperationspartner der Schule abgeschlossen haben. Die Landesschulbehörde rät zum Abschluss von Arbeitsverträgen.


Vorbemerkung der Landesregierung

Die Ganztagsschule erfüllt den Bildungsauftrag der Schule, indem sie ein ganzheitliches Bildungsangebot unterbreitet, das ergänzend zum Unterricht nach Stundentafel auch außerunterrichtliche Angebote umfasst. Damit wird der Erkenntnis Rechnung getragen, dass die Schule der Zukunft sich nicht auf die reine Vermittlung von Faktenwissen beschränken darf.

Die Ausweitung der pädagogisch zu gestaltenden Zeit gibt Raum für eine veränderte Lern- und Schulkultur, für vielfältige Lernarrangements, für eigenverantwortliches, auch neigungs- und interessensgeleitetes Lernen sowie für ein soziales Miteinander.

Wenn die Ganztagsschule als Bildungseinrichtung verstanden wird, die allen Kindern und Jugendlichen neben dem regulären Unterricht u. a. die Teilhabe an Sport- und Bewegungsangeboten, an mathematisch-naturwissenschaftlichen oder sprachlich-geisteswissenschaftlichen Angeboten, an Angeboten der kulturellen oder musischen Bildung ermöglicht, dann werden unsere Schülerinnen und Schüler gut auf ihren Lebensalltag vorbereitet sein, dann werden sie die Herausforderungen des späteren Berufslebens meistern und ihre Rolle in der Gesellschaft finden.

Bildung, das wissen wir, entscheidet maßgeblich über die Chancen jeder und jedes Einzelnen auf gesellschaftliche Teilhabe und die Entwicklung persönlicher Potentiale. Der Ausbau der Ganztagsschule ist ein wesentlicher Baustein für mehr Bildungsgerechtigkeit, er bietet die besten Chancen, das Bildungssystem in Niedersachsen noch leistungsfähiger zu machen.

Daher ist der Ausbau der Ganztagsschule das Herzstück unserer Bildungspolitik. Durch die zusätzlichen Ressourcen – bis Ende 2017 sind allein dafür rund 260 Millionen Euro veranschlagt – ist es jetzt möglich, verstärkt Lehrkräfte im Ganztagsbereich einzusetzen. So können Unterricht und außerunterrichtliche Angebote besser miteinander verzahnt und Schülerinnen und Schüler individuell gefördert werden.

Eine gute Ganztagsschule wird jedoch nicht nur schulintern allein von Lehrkräften ausgestaltet. Sie braucht Partner, die sich mit ihren jeweiligen Kompetenzen in die Durchführung der außerunterrichtlichen Angebote einbringen. Die Öffnung der Schule nach außen stellt einen wesentlichen Aspekt ganztägiger Bildung dar. Durch sie wird der Lebensweltbezug von Schule gestärkt, Schülerinnen und Schülern wird ein breit ausgerichteter Lern- und Sozialisierungsraum dargeboten. Die Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern ist für gute Ganztagsschulen unerlässlich. Dafür sind Kooperationen mit außerschulischen Partnern wie Vereinen und Institutionen ebenso geeignet wie die vertraglich abgesicherte Zusammenarbeit mit Einzelpersonen.

Mit der Ausgestaltung der Ganztagsschule wird eine Fülle von Rechtsgebieten – auf Bundes- wie auf Landesebene – berührt.

Bei der Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern ist es wichtig, mit der pädagogischen, inhaltlichen und organisatorischen Ausgestaltung auch die rechtliche in den Blick zu nehmen.

Die Frage, wie ein Kooperationspartner oder wie eine einzelne Person in die Ganztagsschule eingebunden werden sollen, wird durch die Wahl des Vertrages bestimmt. Die Niedersächsische Landesschulbehörde unterstützt die Schulen bei der Umsetzung ihrer pädagogischen Vorhaben durch Beratung zu Fragen der Vertragsgestaltung.

Damit die vielfältigen außerunterrichtlichen Angebote einer Ganztagsschule rechtssicher angeboten werden, hat das Kultusministerium in enger Zusammenarbeit mit der Niedersächsischen Landesschulbehörde und dem Niedersächsischen Institut für schulische Qualitätsentwicklung bislang zehn Fachtage zu ganztagsspezifischen Themen in allen Regionalabteilungen ausgerichtet, weitere werden folgen. Zwei der vier Themenblöcke eines jeden Fachtages thematisieren zum einen, wie die multiprofessionelle Zusammenarbeit in der Ganztagsschule gelingen kann, zum anderen wie die Zusammenarbeit vertragsrechtlich auszugestalten ist. Die Veranstaltungen werden von den Schulen sehr gut angenommen und die einzelnen Themenblöcke als sehr hilfreich für die Weiterarbeit in der Ausgestaltung des individuellen Ganztagsschulkonzeptes empfunden.

Die Rahmenbedingungen für rechtssichere Vertragsgestaltung bei außerunterrichtlichen Ganztagsangeboten ergeben sich aus dem am 01.08.2014 in Kraft getretenen Erlass „Die Arbeit in der Ganztagsschule“ (SVBl. S. 386). Der Erlass ist unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben und vor dem Hintergrund intensiver Prüfungen der Vertragssituation an den Ganztagsschulen durch die Deutsche Rentenversicherung (DRV) entstanden.

Bei der Ausarbeitung des Erlasses wurde daher insbesondere Wert darauf gelegt, dass im Ganztag Rechtsverhältnisse geschaffen werden, die nicht nur den Vorgaben der Sozialversicherungsträger genügen, sondern die auch das Entstehen von Scheinselbstständigkeit im Schulbetrieb vermeiden. Die Landesregierung nimmt - anders als die frühere Landesregierung von CDU und FDP - durch die Vorgaben im Erlass ihre Verantwortung gegenüber den Schulen wahr, die in der Vergangenheit bekanntermaßen zu oft die Leidtragenden unklarer Vertragslagen waren. Nach den erheblichen Anstrengungen, rechtlich saubere und verlässliche Rechtsverhältnisse im Ganztag zu schaffen, ist die Schaffung und Aufrechterhaltung klarer Vertragsverhältnisse unerlässlich. Die von der Vorgängerregierung hinterlassene rechtswidrige Situation wurde damit beendet.

Der Erlass zur Arbeit in der Ganztagsschule bringt das Bedürfnis der Schulen, abwechslungsreiche Angebote außerschulischer Partner in ihr Ganztagsangebot einzubeziehen, und die arbeits-, sozial- und tarifrechtlichen Vorgaben zum Ausgleich. Dazu bietet der Erlass verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten an. Für die Zusammenarbeit mit juristischen Personen enthält der Erlass zwei Musterverträge zur Kooperation. Eines der Vertragsmuster sieht eine Kooperation durch Arbeitnehmerüberlassung, das andere eine Kooperation ohne Arbeitnehmerüberlassung vor. Mit natürlichen Personen ist der Abschluss von Arbeitsverträgen und – im Ausnahmefall – freien Dienstleistungsverträgen (Honorarverträgen) möglich. Hierdurch werden alle in Betracht kommenden juristischen Gestaltungsmöglichkeiten abgebildet.

Bei einer Kooperation ohne Arbeitnehmerüberlassung kann der Kooperationspartner zur Erbringung des Angebots nur Personen einsetzen, die in einem Arbeits- oder Beauftragungsverhältnis zum Kooperationspartner stehen. Durch diese Vorgabe wird gewährleistet, dass dem Kooperationspartner gegenüber den von ihm eingesetzten Personen eine Weisungsbefugnis zusteht. Diese ist erforderlich, damit der Kooperationspartner als Vertragspartner der Schule die inhaltliche Ausgestaltung des Angebots selbst „in Händen hält“. Im Wesen des Honorarvertrages liegt es demgegenüber, dass die Honorarkraft weisungsunabhängig agiert, weil sie selbstständig ist. Es ist nicht vorstellbar, dass ein Kooperationspartner zur Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen Personen einsetzt, denen er keine Weisungen erteilen darf. Der Einsatz selbstständiger Honorarkräfte durch einen Kooperationspartner ist daher nicht möglich.

Wenn im Einzelfall – das heißt nach Prüfung durch die Niedersächsische Landesschulbehörde (NLSchB) und gegebenenfalls durch die Clearingstelle der DRV – der Abschluss eines Honorarvertrages zur Erbringung eines außerunterrichtlichen Angebots doch einmal möglich sein sollte, kann die Schule nur mit der betreffenden Person direkt einen Honorarvertrag schließen. Ein „Umweg“ über einen Kooperationspartner wäre dann nicht nur widersinnig, sondern könnte auch den Anschein einer Umgehung der sozialrechtlichen Vorgaben erwecken.

Der Begriff des Beauftragungsverhältnisses als Alternative zum Arbeitsverhältnis ist an den Begriff des Auftrags in § 662 BGB angelehnt. Das Beauftragungsverhältnis gewährleistet, dass der Kooperationspartner Weisungen zur Durchführung des außerunterrichtlichen Angebots erteilen kann. Das Beauftragungsverhältnis ist durch das Merkmal der Unentgeltlichkeit geprägt. Der Beauftragte darf keine Gegenleistung als Vergütung für seine Tätigkeit erhalten. Unentgeltlichkeit bedeutet aber nicht, dass das Angebot für die Schule kostenlos sein muss. Die Gewährung einer Aufwandsentschädigung steht der Annahme von Unentgeltlichkeit nicht entgegen, da es sich hierbei gerade nicht um eine Gegenleistung für die Tätigkeit handelt. Durch die Aufnahme des Begriffs des Beauftragungsverhältnisses soll insbesondere ermöglicht werden, dass Personen, die ehrenamtlich für einen Verein tätig sind, von diesem zur Erbringung eines außerunterrichtlichen Ganztagsangebots eingesetzt werden können.

Soll eine feste Einbindung in den „Betriebsablauf“ der Schule erfolgen, kann eine Kooperation aufgrund der Vorgaben des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) nur im Rahmen einer Kooperation zur Arbeitnehmerüberlassung erfolgen. Der Vorteil für die Schule läge dann darin, dass sie die eingesetzten Personen wie eigene Beschäftigte behandeln und ihnen insbesondere auch inhaltlich-fachliche Weisungen zur Durchführung der Angebote machen kann. Der Kooperationspartner bedürfte dann allerdings einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung.

1. Wie muss das Angebot an Reitunterricht und von Jugendfeuerwehren von den Schulen ausgestaltet werden, um sozialversicherungsrechtlich unproblematisch zu sein, insbesondere im Hinblick auf Aufwandsentschädigungen und die Einbindung in den Tagesablauf der Schule?


Reitunterricht als außerunterrichtliches Angebot kann durch einen Reitverein auf Basis eines Kooperationsvertrages erbracht werden. Dabei sind die Vorgaben des jeweiligen Mustervertrages zu beachten. Der Verein kann zur Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem Kooperationsvertrag, wie in der Vorbemerkung der Landesregierung beschrieben, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder unentgeltlich Beauftragte einsetzen.

Auch eine Jugendfeuerwehr kann auf Basis eines Kooperationsvertrages ein außerunterrichtliches Angebot erbringen. Hierfür kann die Feuerwehr wiederum Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder unentgeltlich Beauftragte (Ehrenamtliche) einsetzen. Die Zahlung einer Aufwandsentschädigung steht der Unentgeltlichkeit nicht entgegen.

Wenn mit dem Ausdruck „Einbindung in den Tagesablauf der Schule“ eine mögliche „Einbindung in den Betriebsablauf“ der Schule gemeint sein sollte, so ist darauf hinzuweisen, dass eine solche Einbindung aufgrund der Vorgaben des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) nur im Rahmen von Arbeitnehmerüberlassung erfolgen kann.

2. Wie beurteilt die Landesregierung den Umstand, dass juristische Personen gegenüber natürlichen Personen deutlich besser gestellt sind beim Einsatz im außerunterrichtlichen Angebot des Ganztags, und sieht die Landesregierung in diesem Punkt eine Wettbewerbsverzerrung?

Die Vorgaben des Erlasses zur Arbeit in der Ganztagsschule führen nicht zu einer Besserstellung juristischer Personen gegenüber natürlichen Personen.

Juristische Personen können zur Zusammenarbeit im schulischen Ganztag die dem Erlass beigefügten Musterverträge zur Kooperation abschließen.

Natürliche Personen, die ein außerunterrichtliches Angebot persönlich gegen Entgelt erbringen möchten, können hierzu mit der Schule einen Arbeitsvertrag schließen. Wenn sie ein Angebot ehrenamtlich erbringen möchten, ist dies ebenfalls möglich. Im Einzelfall, sofern das betreffende Angebot zweifelsfrei – gegebenenfalls nach Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens bei der Clearingstelle – durch Selbstständige erbracht werden kann, können natürliche Personen als Selbstständige auch Honorarverträge abschließen.

Es ist insofern nicht ersichtlich, worin eine Besserstellung juristischer Personen gegenüber natürlichen Personen, geschweige denn eine „Wettbewerbsverzerrung“ liegen soll.

3. Wie beurteilt die Landesregierung den Umstand, dass vorherige Honorarkräfte nunmehr lediglich als ehrenamtlich Tätige eingesetzt werden können und dadurch eine weit geringere Entschädigung für die gleichen Leistungen erhalten?

Sofern die Voraussetzungen für eine selbstständige Tätigkeit vorliegen, kann ein Honorarvertrag weiterhin geschlossen werden. Die Voraussetzungen selbstständiger, also weisungsunabhängiger Tätigkeiten im außerunterrichtlichen Ganztag sind aber sehr eng. Zweifelsfälle sind der sogenannten Clearingstelle der DRV vorzulegen. Der ganz überwiegende Teil der in der Vergangenheit weit verbreiteten Honorarverträge an Ganztagsschulen wurde im Rahmen der Betriebsprüfung durch die DRV als faktisch abhängige Beschäftigung und somit als Arbeitsverhältnisse eingestuft. Die damit verbundenen Vorgaben haben Bestand. Sofern der Abschluss eines Honorarvertrages nicht in Betracht kommt, besteht die Möglichkeit, einen Arbeitsvertrag abzuschließen. Es ist insofern unzutreffend, dass ehrenamtliches Engagement die einzige Alternative zum Abschluss eines Honorarvertrages darstellt.


Artikel-Informationen

erstellt am:
17.07.2015

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