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Zeitpunkt der gutachterlichen Feststellung eines Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 13.05.2015 - TOP 22 - Nummer 14

Abgeordneter Ulf Thiele (CDU)


Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums namens der Landesregierung


Vorbemerkung des Abgeordneten

Sind Kinder in der vorschulischen Entwicklung, bei der Schuleingangsuntersuchung oder im Laufe der Schulzeit entwicklungsauffällig, hat ein Kind starke Probleme beim schulischen Lernen oder im sozialen Verhalten, kommt eine sonderpädagogische Unterstützung in Betracht. Ein Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung muss möglichst frühzeitig erkannt werden. Nur dann können den Kindern und ihren Eltern bereits vor der Einschulung geeignete Fördermaßnahmen angeboten und kann ein erfolgreicher Bildungsgang gewährleistet werden. Sollten sich bei der Schuleingangsuntersuchung Auffälligkeiten oder Hinweise auf Entwicklungsverzögerungen ergeben, so wird das Verfahren in Gang gesetzt, das in der Verordnung zur Feststellung eines Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung vom 22. Januar 2013 beschrieben ist.

Wird erst nach der Einschulung in den 1. Schuljahrgang einer Grundschule ein sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf gutachterlich diagnostiziert, wird das Kind bei einem Wechsel auf eine Förderschule, wenn die Eltern diesen wünschen, zum nächsten Schuljahr erneut in den 1. Schuljahrgang eingestuft. Kinder mit diagnostiziertem sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf, die nach der Einschulung in die Grundschule auf eine Förderschule wechseln, „verlieren“ auf diese Weise ein Schuljahr. Eine gutachterliche Feststellung des Unterstützungsbedarfs vor Einschulung in die Grundschule und eine damit verbundene Einschulung in eine Förderschule könnten möglicherweise im Einzelfall die Chancen von Kindern mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf erheblich verbessern. Dies würde für diese Kinder dann ein gewonnenes Jahr bedeuten.


Vorbemerkung der Landesregierung

Die Landesregierung legt besonderen Wert auf Prävention und pädagogische Frühförderung. Für die erfolgreiche Entwicklung eines Kindes ist es von entscheidender Bedeutung, alle Entwicklungsstufen dem jeweiligen Lebensalter entsprechend zu durchlaufen. Jedes Kind hat hierbei sein eigenes Tempo und seine eigenen Stärken und Schwächen.

Sollten Kinder jedoch nicht mehr im Rahmen der „üblichen“ Spannbreite der kindlichen Entwicklung liegen, sollte es Verzögerungen oder Auffälligkeiten geben, die eine spezielle Unterstützung des Kindes erfordern, so müssen Beeinträchtigungen oder Auffälligkeiten in der kindlichen Entwicklung frühzeitig festgestellt werden. Eine schnell einsetzende individuelle Förderung kann das Auftreten von Behinderung oftmals vermeiden sowie bestehende Behinderungen und deren Folgen zum Teil beheben oder jedenfalls abmildern. Damit erhält ein Kind die bestmögliche Chance für die Entfaltung seiner Persönlichkeit.

Kinder mit Entwicklungsverzögerungen oder einer drohenden bzw. bestehenden Behinderung werden daher bereits in der frühkindlichen Bildung besonders gefördert. Die enge Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten ist dabei von besonderer Bedeutung. Für das Gelingen des Schulanfangs, den Übergang von der Kindertagesstätte in die Grundschule, sind neben den Eltern insbesondere die Fachkräfte in den Kindertagesstätten und die Lehrkräfte in den Grundschulen verantwortlich.

Im Vorfeld der Einschulung werden durch die Schuleingangsuntersuchung, Informationen der Kindertageseinrichtung und Gespräche mit den Erziehungsberechtigten alle Bereiche bezogen auf die für den Schulbesuch erforderliche Entwicklung jedes einzelnen Kindes grundlegend geprüft. Dazu werden unabhängig vom Alter eines Kindes insbesondere die körperliche und geistige Schulfähigkeit und die ausreichende Entwicklung des sozialen Verhaltens in den Blick genommen.

Nach der Verordnung zur Feststellung eines Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung gehört zum Feststellungverfahren die Festlegung, in welchem der in § 4 Abs. 2 Satz 3 des Niedersächsischen Schulgesetzes statuierten Förderschwerpunkte der sonderpädagogische Unterstützungsbedarf besteht. Liegen im Vorfeld der Einschulung Erkenntnisse vor, die ein Feststellungsverfahren hinsichtlich eines Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung rechtfertigen oder sollten Eltern ein Feststellungsverfahren wünschen, steht dem rechtlich in allen Förderschwerpunkten nichts entgegen.

In der Grundschule stellt die Landesregierung in diesem vorgenannten Sinne der Prävention für die professionelle Unterstützung und für spezifische Bildungs- und Beratungsangebote das klassenabhängige Stundenkontingent der Sonderpädagogischen Grundversorgung zur Verfügung. Dieses Stundenkontingent für die Förderschwerpunkte Lernen, Sprache sowie emotionale und soziale Entwicklung wird unabhängig davon gewährt, ob Kinder mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung in der Klasse sind.

Da die Sonderpädagogische Grundversorgung systemisch gewährt wird und somit eine durchgängige und profunde Förderung in der Grundschule sichergestellt ist, sind in den Förderschwerpunkten Lernen, emotionale und soziale Entwicklung sowie Sprache vor der Einschulung Verfahren zur Feststellung eines Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung grundsätzlich entbehrlich. Einen dementsprechenden Hinweis enthalten auch die von der Niedersächsischen Landesschulbehörde an die Schulleiterinnen und Schulleiter adressierten aktuellen Informationen mit allgemeinen Handlungshinweisen zum Verfahren zur Feststellung eines Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung. Dort heißt es: „Grundsätzlich sind Verfahren zur Feststellung eines Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung in den Förderschwerpunkten Lernen, emotionale und soziale Entwicklung sowie Sprache vor [der] Einschulung entbehrlich.“ Die bewusste Wortwahl „grundsätzlich“ wie auch „entbehrlich“ verdeutlicht dabei, dass ein Feststellungsverfahren vor der Einschulung kein Automatismus ist, gleichwohl aber die Durchführung des Verfahrens im Einzelfall möglich ist.


  • 1. Gibt es seitens des Kultusministeriums oder der Landesschulbehörde Dienstanweisungen, den sonderpädagogischen Förderbedarf regelmäßig erst nach der Einschulung gutachterlich festzustellen?

Auf die Vorbemerkung wird verwiesen.

  • 2. Wenn es solche Dienstanweisungen gibt, womit wird dies im Ausnahme- oder Regelfall begründet?

Auf die Vorbemerkung wird verwiesen.

  • 3. Gibt es nach Kenntnis der Landesregierung seit Inkrafttreten der genannten Verordnung aus 2013 Veränderungen in der Praxis der Feststellung des sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs im oben beschriebenen Sinne?

Hinsichtlich etwaiger Veränderungen in der Praxis der Feststellung des sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs liegen keine validen Erkenntnisse vor. Die vorgenannte Verordnung ist 2014 erstmalig evaluiert worden. Ziel dieser Evaluation ist ausdrücklich die Optimierung von Verfahrensabläufen, sie dient der Landesregierung somit zur Steuerung der Inklusion. Die ausgewerteten Daten lassen allerdings keinen sicheren Vergleich in Bezug auf die Praxis der Feststellungsverfahren in früheren Jahren zu.

Die Niedersächsische Landesschulbehörde wird ab 2015 für die Feststellungsverfahren eineabgestimmte Datenbank einsetzen, die eine landesweit einheitliche Datenbasis bilden wird. Mit dieser Datenbank werden künftig jährlich differenzierte und valide Daten zur Verfügung stehen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass für eine sichere Bewertung der Entwicklung der Feststellungsverfahren ein längerer Zeitraum erforderlich ist.

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